22. bis 24. November 2019 silent green
Gerichtstraße 35 13347 Berlin
Abendkasse: 15,00€
Splitter Music Festival II
„Counterbalance!“

22. November 2019

19:30 h | Betonhalle
Skills: ENTHUSIASM (2019, world premiere) for Splitter Orchester
Composer/Performer im Grenzbereich zwischen Performance und politischem Aktivismus. Berlin/Wien
21:00 h | Kuppelhalle
Magnus Granberg: Let Past My Weary Guiltless Ghost (2019, German premiere) for Skogen
zeitgenössisches Kammermusik/Improvisations – Ensemble unter der Leitung von Magnus Granberg. Schweden/Japan/England. http://magnusgranberg.com/skogen.html

23. November 2019

19:30 h | Kuppelhalle
Splitter Orchester: Vortex (2019, world premiere)
21:00 h | Betonhalle
Oren Ambarchi / Will Guthrie: Live Set
mutual admiration society Edition Mego/Black Truffle. Australien

24. November 2019

16 through 20 h | all of silent green
Continuum / Big Circus (2019, world premiere)
durational concert installation by and with
Splitter Orchester, Skogen, Skills, Oren Ambarchi, Will Guthrie
Splitter Orchester: größtes Berliner Echtzeitmusik Ensemble. Berlin
Trompete: Liz Allbee | Elektronik: Boris Baltschun | Schlagzeug: Burkhard Beins, Steve Heather, Morten J. Olsen | Klarinette: Anat Cohavi, Kai Fagaschinski, Michael Thieke | Kontrabass: Mike Majkowski, Clayton Thomas | Tuba: Robin Hayward | Posaune: Matthias Müller | Klavier: Simon James Phillips | Turntables und Elektronik: Ignaz Schick | Flöten: Sabine Vogel | Violine: Biliana Voutchkova | Elektronik und Tape Recorder: Marta Zapparoli

 

Das zweite Splitter Music Festival rückt einmal mehr Strategien zeitgenössischer Improvisation und avantgardistischer, musikalischer Praxis im Kontext großformatiger, nicht hierarchisch organisierter Klangkörper in den Fokus.  Die komplexe, künstlerische Disposition großer, frei und basisdemokraktisch arbeitender Ensembles  wie dem Splitter Orchester lebt maßgeblich vom Dissens, der Meinungsverschiedenheit und der Koexistenz einer Vielzahl,  mitunter widersprüchlicher individueller Perspektiven. Der thematische Schwerpunkt der zweiten  Ausgabe des Splitter Music Festivals liegt deshalb auf dem Ausbalancieren künstlerischen Gegenspielertums innerhalb  einer anarchistischen, selbstorganisierten Gruppendynamik. Radikale De- und Rekonstruktion musikalischer Konzepte ergeben  sich notwendigerweise als Modus der Zusammenarbeit, wenn das Ergebnis die beteiligten Einzelpositionen nicht im  Einklang aufheben soll. Das Festivalprogramm führt gezielt scheinbare Widersprüche auf den Ebenen von Komposition,
Improvisation, Instrumentation und räumlicher Disposition zusammen und provoziert somit Reaktionen und Verhaltensweisen  von den Musiker*innen, die bisher unerforschtes musikalisches Terrain eröffnen.

Das erste Splitter Music Festival 2016 betrieb » music mining in large scale formats«.
Abgeleitet vom »data mining« lautete die Fragestellung: wie kann es gelingen, aus einer schier unendlichen Palette von verschiedenen Klängen und musikalischem Material eine sinnvolle und kohärente Musik zu schaffen?

Mit dem Splitter Music Festival 2019 stellen wir unter dem Titel Counterbalance! die Frage nach der Kohärenz der künstlerischen Prozesse selbst. Welche Rolle spielt Destabilisierung durch unerwartete Opposition im künstlerischen Prozess? Welche Strategien der Improvisation lassen sich daraus ableiten? Welche Musik kann aus konfrontativen Kontexten, in spontanen Bündnissen und unter gezielt manipulierten Bedingungen entstehen?  Als zentrale Idee werden dabei die beteiligten Musiker*innen und Klangkörper auf ihre jeweils eigene, hoch individuelle Struktur, Funktionsweise, ausgebildete Mechanismen und Strategien hin untersucht und dann in neuen Kontexten und Situationen miteinander in Verbindung gesetzt.

Am ersten Tag des Festivals entwickelt das Performance-Duo The Skills ein neues Werk für das frei improvisierende Splitter Orchester, das Parallelen und Gegensätze in der jeweiligen Arbeitsweise hör- und sichtbar macht.  Wenn der zweite Abend zunächst ein fragil improvisiertes Orchesterkonzert in einem Kammermusiksaal  und anschließend ein Noise-Duo in einem Konzertsaal präsentiert, werden Dimensionen von Klang und Räumlichkeit diametral verschränkt und bieten neue Hörerfahrungen.  Zum Abschluss des Festivals begegnen sich alle beteiligten Musiker*innen in einer mehrstündigen, installativen Konzertperformance in permanent variierenden,  dynamischen Konstellationen und lassen musikalisch unvorhergesehene Zusammenhänge aus vermeintlich chaotischen Strukturen entstehen.

Jede Performance ist dabei immer mit einer individuellen Positionsbestimmung verbunden, die Haltung und die Verortung von Musiker*innen und Publikum im silent green wird jedes Mal grundlegend neu verhandelt. Die chronologische Abfolge der Festivalabende impliziert keine Hierarchie – jeder ist als gleichwertig zu betrachten und spielt einen essentiellen Part im Gesamtprozess.

DAS PROGRAMM

22.11.2019 19:30 Uhr @ Betonhalle
The Skills: ENTHUSIASM (2019, UA) für Splitter Orchester

22.11.2019 21:00 Uhr @ Kuppelhalle
Magnus Granberg: Neues Werk für Skogen (2019)

Der Eröffnungsabend des Festivals steht im Zeichen der Komposition. Zwei neue Werke kommen dabei zur (Ur)aufführung, von denen jeweils das eine die Antithese zum anderen bildet. Im ersten Konzert des Abends geht das Splitter Orchester, das in den vergangenen Jahren bereits mehrfach mit Komponist*innen gearbeitet hat, die selbst auch Composer-Performer sind, einen ungewöhnlichen Weg: mit der Uraufführung eines eigens für das Splitter Orchester geschriebenen Stücks des Performance Duos The Skills aus Berlin/Wien betritt das Orchester unerforschtes Terrain. Die gemeinsamen Arbeiten von Sylvi Kretzschmar und Camilla M. Fehér lassen sich im Grenzbereich zwischen Performance und politischem Aktivismus verorten, wobei sich ihre Stücke immer durch eine distinkte Form von Musikalität auszeichnen. Damit sind die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit dem Splitter Orchester denkbar spannend, da auch das Orchester mit seiner basisdemokratischen Struktur, in der das soziale Gefüge innerhalb der Gruppe wesentlich wichtiger ist als in klassischen Orchestern, mit rein klanglichen Mitteln stets an der Grenze zum sozialen Experiment operiert.

Das zweite Konzert des Abends wird vom schwedisch-japanisch-britischen Ensemble Skogen präsentiert, das damit gleichzeitig seine Berlin-Premiere feiert. Das Ensemble besteht überwiegend aus Composer-Performern und spielt fast ausschließlich Kompositionen des  Ensemblegründers und -leiters Magnus Granberg – die Zusammenarbeit zwischen Komponist  und Ensemble ist dabei kooperativ und interaktiv angelegt. Granberg beschreibt in seinen Stücken musikalische Situationen und schlägt einen Pool von Materialien vor, wie Melodiefragmente, Akkorde, Rhythmen, etc., die von den improvisationserfahrenen  Ensemblemitgliedern offen interpretiert werden. Im gemeinsamen Arbeitsprozess entsteht eine  Musik, die sowohl dem resultierenden Ensembleklang Rechnung trägt, als auch der Klangsprache der einzelnen Musiker*innen Raum lässt. Skogen gelingt auf faszinierende Weise die Koexistenz von individueller Freiheit und kollektiver Stringenz, die auch im neuen Werk von Magnus Granberg zu erleben sein wird.

23.11.2019 19:30 Uhr @ Kuppelhalle
Splitter Orchester: Vortex (2019, UA)

23.11.2019 21:00 Uhr @ Betonhalle
Oren Ambarchi / Will Guthrie

Am zweiten Abend des Festivals spielt das 23-köpfige Splitter Orchester im Kuppelsaal des
silent green ein im wahrsten Sinne des Wortes immersives, frei improvisiertes Live-Set: die  Musiker*innen sind auf den Rängen der Kuppelhalle verteilt, das Publikum im Zentrum ist völlig  von den Klängen umgeben und befindet sich im Auge des Sturms, dem Epizentrum des  Geschehens. Ein Ausweichen oder Weghören, wie es in herkömmlichen Konzertsituationen  möglich wäre, ist hier ausgeklammert. Durch die Größe des Orchesters und die vergleichbar  kleine Publikumsfläche stellt sich für die Zuhörer*innen das Gefühl ein, mitten im Orchester zu  sitzen. Durch die Anordnung der Musiker*innen in der Vertikalen und im Kreis entsteht umso  deutlicher der Eindruck eines Tornados, der um das Publikum herum zum scheinbaren Stillstand  gekommen ist.  Eine gegensätzliche Grundstimmung herrscht im zweiten Konzert des Abends vor, in dem das
Duo Oren Ambarchi & Will Guthrie (Gitarren und Schlagzeug) in der großen Betonhalle den  ihnen eigenen Mix aus experimentellem Noise und minimalistischen Drone-Rock präsentieren.  Der Konzertort ist im Verhältnis zur Anzahl der Musiker auf der Bühne überproportional  geräumig und bietet dem Publikum die Möglichkeit, sich frei im Resonanzfeld der Musik zu bewegen und somit unmittelbar selbst Einfluss auf das eigene Hörerlebnis zu nehmen. Die  Hörsituation ist hier frontal und damit viel näher an einer klassischen Konzertsituation als im ersten Konzert, was ebenfalls ein stark kontrastierendes Hörerlebnis garantiert.

24.11.2019 16 bis 20 Uhr @ silent green
Continuum / Big Circus (2019, UA)
(Splitter Orchester, Skogen, The Skills, Oren Ambarchi, Will Guthrie)

Den Abschluss des Festivals bildet eine vierstündige Konzertinstallation, die sich über das
gesamte Areal des silent green erstreckt und die von allen am Festival beteiligten
Künstler*innen gemeinschaftlich konzipiert und umgesetzt wird. Dabei werden die Klangkörper  auseinandergebrochen und neu zusammengefügt. Was daraus entsteht, ist neu- und einzigartig  und in seiner speziellen Disposition unwiederholbar. Das 38-köpfige Meta-Ensemble, bestehend  aus den Musiker*innen des Splitter Orchesters und Skogen, The Skills, Oren Ambarchi und Will  Guthrie (alle beteiligten Künstler*innen des Festivals) konfiguriert sich in Duos, Trios, kleineren Ensembles und Solopositionen, die sowohl in der Kuppelhalle als auch in der Betonhalle, in Seitenräumen und versteckten Nischen des silent green zu hören sind. Der Ablauf folgt dabei einer zeitlich und räumlich exakt festgelegten Struktur. Die verschiedenen Bühnen des Areals werden parallel und durchgängig in wechselnden Besetzungen bespielt. Für das sich bewegende Publikum entsteht so eine dynamische Improvisation, die zu gleichen Teilen eine vom eigenen Standort und den gerade entstehenden Klängen der Musiker*innen bestimmte
Komposition wie eine räumliche Klangskulptur ist. Alle Widersprüche sind aufgehoben und
gleichzeitig bleibt jedes einzelne Bestandteil in seiner Individualität erkennbar. Das Continuum vereinter Gegensätze, ein großer Zirkus als gelebte, lebendige, und erlebbare Utopie.