Erst war’s ein Gerücht, dann eine Absage. Dann drei. Dann dreißig.


Das Sónar-Festival in Barcelona wird gerade öffentlich seziert – mal nicht wegen des Line-ups oder TikTok Techno-Boom, sondern wegen Investorengeld. Genauer gesagt: wegen KKR. Und plötzlich brennt nicht nur der Zeitplan, sondern die ganze ethische Kulisse.

In den letzten Tagen hat ein Festival gezeigt, wie dünn die Luft zwischen Kapital und Moral geworden ist. Sónar war ein Synonym für Avantgarde. Jetzt: Synonym für Boykott. Über dreißig Artists canceln ihre Auftritte, weil der Veranstalter einem Finanzgiganten gehört, der mit Israel Geschäfte macht. Die Welle schwappt schnell – aber auch schief. Denn zwischen echtem Protest und symbolischer Intifada-Romantik verschwimmt gerade alles. Und wer beides kritisiert, steht plötzlich allein da. Aber das war ja nach dem 7. Oktober nicht anders. Vor allem in Berlin. Entweder war/ist man Intifada Cosplayer oder Genozid Lover. Hashtag #TIEFEGRÄBEN. Und man selbst steht in der Mitte und ist müde von Rufen nach Cancel Culture – aber auch allergisch gegen die Industrie, die unsere „Kultur“ leerkauft.

KKR – das klingt wie ein Berliner Technolabel, ist aber der feuchte Traum jeder Anlageberaterin mit Waffenschein. Kohlberg Kravis Roberts ist ein US-Private-Equity-Riese mit mehr als 500 Milliarden Dollar Assets. Alles, was Geld druckt, wird gekauft: Öl, Autobahnen, Wohnblöcke. Und Festivals.

Über ihre Tochterfirma Superstruct gehören ihnen heute ein ganzer Sack an Events: Sónar, Sziget, Defqon, Mysteryland, Parookaville. Klingt nach Booking.com für Raver, ist aber ein Excel-Sheet mit Stroboskop. Und man überlegt sich ernsthaft, wo man noch Medienpartner sein will.

Warum machen die das eigentlich? Weil Festivals sich gut skalieren lassen – wenn man Subkultur in Markenkerne presst. Und wenn man Rendite will statt Relevanz. Was sie an Geld bringen? In der Theorie: Millionen für Städte, Marken und Managements. In der Praxis: Die kleinen sterben, die großen gehören Fonds.

Was mich dabei ankotzt: Dass viele der Festival-Boykotts plötzlich nicht mehr nur gegen Konzerngeld gehen – sondern in Richtung Symbolpolitik kippen. Statt Kapitalismuskritik gibt’s dann Kufiya-Posing und Parolen wie „Free Palestine from German Guilt“ – als wär das alles ein Cosplay-Workshop für linke Erweckungsphantasien.

Sagen wir’s, wie es ist: Antisemitismus in progressiver Tarnung ist kein Statement, sondern ein Verrat.

Ja, ich bin gegen KKR. Ja, ich bin für die Entflechtung von Kultur und Konzernmacht. Aber wer gleichzeitig antisemitische Codes verbreitet oder sich in Intifada-Rhetorik suhlt, ist nicht Teil der Lösung. Der ist Teil des Problems. (Obwohl ich diesen Spruch mittlerweile auch Mega nervig finde…)

Ich hab keinen Bock, mit Leuten in einem Boot zu sitzen, die zwar Kapitalismuskritik brüllen, aber keine Ahnung von Geschichte haben. Die Gerechtigkeit spielen, aber Feindbilder feiern. Die sich links geben, aber jüdische Perspektiven ignorieren.

Ich bin nicht hier, um Applaus von der einen oder der anderen Seite zu kassieren. Ich bin hier, weil ich genug habe von Lagerlogik. Ich halte den Boykott von Sónar für konsequent. KKR hat im Clubkontext nichts verloren. Wenn Festivals zu Portfolios werden, stirbt Kultur. Aber ich verweigere mich der Szene, die glaubt, Kapitalismuskritik funktioniert nur im Tarnhemd mit Palästinenserschal. Die meinen, das eine legitimiere das andere. Ich will keine Ersatzreligion aus Cancel Culture. Und keine Business-as-usual-DJs, die sich für 50k in von BlackRock versicherte Line-ups shoppen lassen.

Was bleibt, wenn alle absagen?

Was bleibt, wenn dreißig Acts absagen, der Kapitalgeber schweigt, und der Clubdiskurs im Rauschen versackt? Ich will Festivals, die frei sind – von Konzerninteressen und von Erweckungsphantasien. Ich will Veranstalter:innen, die wissen, dass Booking kein revolutionärer Akt ist – aber Verantwortung braucht. Ich will Artists, die verstehen, dass Haltung mehr ist als ein Statement auf dem Rider. Und ja, ich will, dass man KKR benennt. Und auch die Codes, die gerade salonfähig gemacht werden – von Leuten, die angeblich für Gerechtigkeit stehen, aber dabei andere mit Füßen treten.

Clubkultur war mal mehr als ein Line-up. Es war ein Raum für Differenz, Fürsorge, Widerspruch. Vielleicht können wir genau da wieder hin – wenn wir uns trauen, nicht mit der einen oder anderen Blase zu schwimmen, sondern einfach geradeaus zu denken.

Vielleicht geht’s gar nicht mehr um Sónar. Oder um Boykott. Oder um KKR. Vielleicht ist das alles nur das Symptom einer Entwicklung, die längst tiefer sitzt.

Techno ist nicht mehr zurückzuholen.
Die erste Kommerzialisierungswelle hat ihn groß gemacht. Die zweite hat ihn professionalisiert. Aber die dritte – die aktuelle – hat ihn ausgehöhlt.

Was heute als Techno verkauft wird, ist oft nur noch EDM mit Filter. Booking-Entscheidungen folgen Reichweiten. Agenturen casten Instagram-DJs. Der Sound ist Kulisse für Content-Produktion. Das Line-up ist ein KPI, keine Haltung.

Clubs wurden zu mittelständischen Unternehmen, Festivals zu Portfolios. Und wer heute wirklich radikal ist, ist oft einfach nur still. Unsichtbar. Offline. In Kellern, wo keine Sponsoren hinfinden. In Ecken, wo das WLAN abbricht.

Ich glaube nicht mehr daran, dass wir das zurückholen können. Aber ich glaube daran, dass wir es benennen müssen.
Damit wenigstens eins bleibt: Erinnerung. Und vielleicht irgendwann wieder der Mut, etwas anderes zu bauen.