Erzähl mal ein bisschen was über das Team, damit die Leserinnen euch kennenlernen.

Wir sind ein circa 20-köpfiges diverses Team, das über den Vorbereitungszeitraum bis zum Festival auf sicherlich 100 Menschen anwächst. Das Programm aus Konzerten, Commissioned Works und Talks – das dieses Jahr um die 100 Events umfassen wird – stellt unser Programmteam Yeşim Duman, Pamela Owusu-Brenyah und Christian Morin zusammen, Pamela Schlewinski ist zudem für die Umsetzung der Commissioned Works verantwortlich. Sie bringen alle ganz unterschiedliche Expertisen mit ein: Pamela Owusu-Brenyah hat einen Fokus auf Musik vom afrikanischen Kontinent und aus den afrodiasporischen Communities. Yeşim Duman setzt queere und postmigrantische Schwerpunkte und hat mit der Çaystube einen frei zugänglichen Safe Space bei Pop-Kultur konzipiert. Christian Morin ist von Anfang an als Kurator und Festivaldramaturg dabei und Pamela Schlewinski steuert ihre Erfahrung als Produktionsdramaturgin aus dem Theaterkontext bei. Im Grunde gilt dieser Expertisereichtum für das ganze Team, viele Mitarbeiterinnen sind selbst als Künstler*innen oder in anderen Musikformaten tätig. Und ich leite das Festival und bin Geschäftsführerin des Musicboard Berlin.

Was hat sich seit den Anfängen geändert? Gibt es neue Schwerpunkte, die vor einem Jahrzehnt noch gar kein Thema waren, also gesellschaftlich oder musikalisch?


Wir haben unseren ursprünglichen Anspruch, dass wir eben nicht nur Musik, sondern auch Diskurs abbilden wollen, mit zahlreichen Talks und Panels über die Jahre mehr Platz eingeräumt. Außerdem war es uns wichtig, dass wir neben den Konzerten auch Experimentierbühnen für die Künstlerinnen bieten, in denen sie ganz neue Dinge ausprobieren können – so entstanden die Commissioned Works, als extra für Pop-Kultur konzipierte Werke, die dann auf dem Festival Weltpremieren feiern. Gesellschaftlich hat sich Pop-Kultur schon immer gern auch auf Themen konzentriert, die aktuell virulent waren – und es jetzt umso mehr sind: Das betrifft konkret Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit, die Sichtbarkeit von queeren Positionen und postmigrantische sowie dekoloniale Diskurse. Ein weiteres Thema, das immer wichtiger wird, weil sich auch viele Künstlerinnen damit auseinandersetzen, ist Künstliche Intelligenz.

Was hat es mit den Pilz-Motiven auf Bannern und Plakaten auf sich?


Unsere Kampagnen, die mit dem Berliner Designstudio fertig design entstehen, sollen auf jeden Fall immer Hingucker sein. Festivalbesucherinnen sollen sich die Plakate auch gern zu Hause aufhängen wollen. Pilze erleben ja momentan nicht nur eine richtige Hype-Renaissance, sie stehen auch für Vieles, was dem Festival bei Booking, Themensetzungen und Festivalatmosphäre wichtig ist. Das Offensichtliche ist natürlich, dass sie sich herrlich suchen und entdecken lassen, auch abseits ausgetretener Pfade. Pilze haben außerdem irre viele Farbschattierungen, können gut schmecken, bilden untereinander irre Kommunikationen über ihre weitreichenden Wurzeln und haben schon einige Musikerinnen zu Werken inspiriert. Und sie sind hybride Wesen, lassen sich geschlechtlich nicht klar verorten und in Kategorien stecken.

Spielt der Krieg in der Ukraine auch eine Rolle bei Pop-Kultur 2023? Gibt es da extra Panels oder spezielle Acts?


Christian Morin hat eine Reihe von Kulturschaffenden aus der Ukraine eingeladen, sich und ihre Arbeit bei Pop-Kultur in Konzerten zu präsentieren und in Talks gemeinsam zu diskutieren. Konkret geht es unter anderem um die Veranstalter*innen des Black-Factory-Festivals und der sogenannten Cleaning Raves der Gruppe Repair Together, bei denen große Gruppen junger Menschen zu elektronischer Musik helfen, Trümmer zu beseitigen und beschädigte Häuser zu reparieren. Auch in Kriegszeiten versucht die Undergroundszene in Kiew durch diese Events etwas Normalität und Gemeinschaft zu stiften. Mit dem Elektronik-Duo Hungry Boys und der konfrontativen Elektropop-Punk-Musikerin TUCHA sind gleich zwei spannende ukrainische Acts dieser Szene vertreten. Zudem kreiert die ukrainische Künstlerin Mariana Sadovska mit der Commissioned Work Vesna ein Musikprojekt, dass traditionelle Gesänge, archaische Klänge und Instrumente mit zeitgenössischen, oft elektronischen Sounds kombiniert, um Fragen nach Herkunft, Freiheit und Identität aufzugreifen.

Was hat es mit Goethe Talents auf sich? Kannst du das mal näher erläutern?


Das “Goethe Talents”-Stipendium ist eine Kooperation von Pop-Kultur mit dem Goethe-Institut, die in unserem Team von Nadine Moser koordiniert wird, und richtet sich speziell an junge, musikalische Talente aus dem Globalen Süden, dem Mittleren Osten und (Zentral-)Asien. Diesmal ist es durch das Stipendium acht jungen Talenten im Alter zwischen 20 und 30 Jahren möglich, für zwölf Tage (vom 24. August bis 4. September 2023) nach Berlin zu kommen und bei Jam-Sessions, Studiobesuchen, Kurzpraktika in Unternehmen und Austauschtreffen mit Stipendiat*innen des Musicboard Berlin die Berliner Musikszene kennenzulernen. Dazu kommt noch, dass sie dann ihre eigene Musik in ausgewählten Clubs der Stadt präsentieren können – und eben auch bei Pop-Kultur.

Anm. Club Map: Ein Festival “Pop-Kultur” zu nennen ist für mich als jemand, der POP als endlose Abfolge von MTV Videos verstand, und gute Musik als dort nicht auftauchend, durchaus gewagt. Mit dem Berghain als Location war der Startschuss 2015 auch gleich auf “street credibility” tauglicher Ebene für die Berliner Szene. Und die Artists bei euch sind alle andere als David Guetta, Ed Sheeran oder Tokio Hotel.

Wie definiert ihr Pop?


Pop ist für uns ein großer Begriff, der sich nicht auf ein paar Namen, die im Radio rauf und runter laufen, reduzieren lässt. Im Gegenteil: Es gehört ja zum Wesen von Pop, dass überall auf der Welt unterschiedliche Personen ganz anders und vor allem anderen Pop hören. Er ist aber auch immer diskursiv aufgeladen, durch den Zeitgeist mitdefiniert. Und am allerwichtigsten: Es ist ein verbindender Begriff, er will gemeinsam gefeiert werden. Das alles wollen wir mit Pop-Kultur möglichst abbilden – also das Festival als Entdeckungs- und Experimentierort für unterschiedliche Musikkulturen, als Begegnungsstätte für Menschen aus Berlin und der ganzen Welt und als Diskursraum für aktuelle Debatten.

Wie finanziert ihr das alles bei einem Ticketpreis von 45 Euro? Und wo hat sich der Preisanstieg auch bei euch bemerkbar gemacht: Booking, Raummiete, Druckkosten etc.?


Wir möchten, dass Pop-Kultur auch als Festival im Herzen Berlins für möglichst viele Besucher*innen zugänglich bleibt trotz und gerade wegen der Inflation, deswegen haben wir die Preise nur leicht erhöht und außerdem eine Bookingschiene rund um die Çaystube, die Programmpunkte sind hier komplett frei zugänglich. Aber klar: Die Preiserhöhungen treffen uns auch. Das tangiert eigentlich sämtliche Bereiche, da kann man keinen gesondert herausheben.

Was ist 2023 dein/euer persönliches Booking-Highlight?


Bei rund 100 Acts fällt es wirklich schwer, irgendwen ganz besonders in den Mittelpunkt zu stellen. Aber wir freuen uns wirklich sehr, dass wir wie erwähnt ukrainische Kulturschaffende dabei haben.

Was war die schwerste Aufgabe im Vergleich zum Vorjahr, wenn es überhaupt etwas gab?


Ehrlich gesagt, sind wir alle ziemlich froh, dass wir aktuell keine Pandemiethemen haben und hoffen darauf, dass es so bleibt und wir ein tolles Festival miteinander feiern können!

Anm. Club Map: Durch viele Gespräche in letzter Zeit hab ich gemerkt, das Veranstalter oft überfordert sind mit Klimafreundlichkeit, Awareness Teams, Diversity im Line up, denn das sind alles zusätzliche Kosten. (Beispiel ZDL: 50/50 Line up = 3000 Euro extra für weibliche DJs. Awareness Team 2022 = 2000 Euro)

Ist das auch ein Thema, über das gesprochen wird?


Wir waren immer ein Festival, das auf Geschlechtergerechtigkeit geachtet hat. Schon seit 2015 waren viele Frauen und non-binäre Menschen auf der Bühne, das hat sich über die Jahre nur noch verstärkt. Die Themen Diversity im Line-up und auch Awareness-Teams sind also schon seit Langem feste Bestandteile von Pop-Kultur. Mit Elnaz Amiraslani haben wir zudem seit vielen Jahren eine toll vernetzte Beraterin für Inklusion und Awareness mit an Bord, die uns ständig berät und neue Impulse beisteuert. Konkret heißt das zum Beispiel, dass wir auch Menschen mit Behinderung nicht nur auf der Bühne, sondern auch hinter den Kulissen im Team haben, dass wir auf inklusive Sprache achten, dass wir es uns gern leisten, Gebärdendolmetschende für Talks dabei zu haben. Uns ist aber auch bewusst, dass es ein Prozess ist, bei dem wir ständig dazulernen und der nie abgeschlossen sein wird.

Müsst ihr um Acts kämpfen, um sie zu bekommen, und wie lange plant ihr im Voraus?


Pop-Kultur lädt viele Künstlerinnen ein, die gerade auf dem Sprung sind, ihre Karriere voll durchzustarten. Dabei hilft natürlich, dass es uns sehr wichtig ist, ein Festival zu machen, bei dem sie sich rundum wohl fühlen – die Künstlerinnen stehen bei uns absolut im Mittelpunkt-, dass sie in Kommunikationsloops und Entscheidungen eingebunden sind – und nicht nur das Gefühl haben, zu uns kommen und abliefern zu müssen. Das schafft Vertrauen. Zur Frage des Vorlaufs: Für die Planung der 2023-Ausgabe haben wir im Herbst 2022 losgelegt.

Was wünscht ihr euch für die kommenden Jahre?


Wir wünschen uns, dass viele der angesprochenen Pop-Kultur-Themen – Diversity, Inklusion, queere Lebensentwürfe – noch viel stärker Eingang in den allgemeinen, größeren Festivalbetrieb finden. Der ist immer noch erstaunlich weiß und männlich. Für Pop-Kultur wünschen wir uns natürlich, dass die Politik sieht, was wir hier für einen Experimentier- und Möglichkeitsraum bieten, und uns weiterhin bei der Umsetzung finanziell unterstützt.

Bilder: ©DorotheaTuch