Hallo Berlin! oder die Geschichte des Bassy Club:

Eigentlich begann alles in den frühen 90iger Jahren. Ich verließ München, da ich die Stadt nicht ertrug und landete am Rosenthaler Platz.Wir schrieben das Jahr 1992.
Alles war irgendwie vollkommen egal. Wohnen, Arbeit, Freizeit.

Ein großer Teil Ostberlins stand leer, mit Wohnungen die teils noch möbliert waren. Der Ostteil der Stadt gehörte einem untergegangenen Staat, der nur noch mit wenigen Wohnungsbaugesellschaften und noch weniger Volkspolizisten in neuen ungewohnten Uniformen für etwas Regeln zu sorgen versuchte.

Es gab kaum Autos, die Straßen waren frei und leer. Das ganze Bild war für westdeutsche Augen vollkommen ungewohnt. Wer wohnen wollte suchte sich ein Haus in seiner bevorzugten Gegend aus, öffnete die Tür und zog ein. Es gab die Faustregel das mit einer Mietzahlung von etwa 100 Mark auf ein Sperrkonto und einem eigenen offiziellen Stromanschluss nach 12 Monaten ein regulärer Mietvertrag entstand. Unglaublicherweise stimmte das sogar!

Für die Arbeit bzw. die Kunst oder Passion galt das gleiche. Richtige Ecke ausgesucht, Parterre Wohnung oder Ladengeschäft übernommen und dann Club, Bar Galerie, Spätkauf oder irgendetwas gestartet. Alles ohne Staat, Steuer, Miete und Regulierung in irgendeiner Form. Nach ein bis zwei Jahren stellte sich für die meisten der Verein als optimale Gesellschaftsform heraus. Es gab bis ins Jahr 2003 Vereine für fast alles…. Essen, Trinken, Tanzen usw. Dies nahm dann irgendwann ein zu erwartendes Ende.

Damals hießen die Läden unseres Vertrauens: Delicious Doughnuts, Boogie Bar, Schmalzwald, St Kildas, getanzt wurde im Monbijou Park im Kunst & Technik und oder gegenüber im 103 Club…

Irgendwann 1996 starte dann das Café Burger, altehrwürdig aus Ostzeiten herübergerettet ein Relaunch mit neuen Betreibern um einen anderen Untergrund zu formen.
Ich war begeistertet und zog gemeinsam mit der Lesebühne Surfpoeten aus der Ackerstrasse hinüber. Poetryslam wurde zu der Zeit erfunden und sie waren, heute vergessene Vorreiter davon.

Seit ein paar Jahre wurde parallel der Techno zelebriert, erfunden und weiterentwickelt. Dies war eigentlich die logische Fortfolge der Acidhousemusic Bewegung, der jeder Mensch ohne Musikverständnis verfiel, da sie so leicht zu begreifen war. Purer Rhythmus und Musikzitate, die so oft wiederholt werden bis der Ursprung vergessen ist.

Dies war für mich der Anlass und Grund es selber zu probieren. Meine Wohnung in der Zehdenickerstrasse war weniger eine Wohnung (immerhin der gesamte 2. Stock mit 180qm), sonder vielmehr zusammen mit dem Erdgeschoss, dem 4 Stock zusammen (alles für weniger als 400 DM), eine Spielwiese für Experimente musikalischer Art. Ich feierte Geburtstage und Feste, immer größer und lauter. Lud die Nachbarn aus, dafür Bands ins Wohnzimmer, Djs (Vinyl only) ins Esszimmer plus jede Menge Leute natürlich.

Schnell stellte sich heraus, dass nicht jeder dem Technowahn verfallen war, die Gemeinde wuchs und gedieh. Der Höhepunkt war dann an meinem 30. Geburtstag.
Plan9 (surf) bespielte das Wohnzimmer, an der Baustellenstange (geraubt) fand der bis dato unbekannte Burlesque statt… Mehrere Djs heizten mit sensationellen 45 singles auf den Plattenspielern ein. Im Hof brannte ein Feuer in der alten Öltonne. Statt der geladenen 300 Gäste kamen etwa 900. Die Straße vor dem Haus war voll, die Polizei im einzeln verlorenen Wartburg fuhr davon und alle waren glücklich.

Dies war die Geburtsstunde des Bassy Clubs.

Vier Monate später eröffnete ich den ersten Club neben dem Pfefferberg.
Das White Trash war noch nicht in der Torstraße und das Tacheles stand voll im Saft. Vorglühen konnte man im Obst + Gemüse oder in der Mitte Bar.
Wir diskutierten ob die neue Sportart Schachboxen im Bassy Premiere feiern sollte… Entschieden uns dann aber für eine neue unbekannte Band namens Boss Hoss.
Ganz Berlin wurde elektronisch und wir stemmten uns dagegen.

Partner kamen und gingen… Der Kulturauftrag blieb der gleiche, Musik vor 1969.

Warum?

Es ging natürlich immer um Spaß, Sex, Drugs, Rock`n Roll und so weiter, aber die Idee der musikalischen Früherziehung war fix. Nahezu die gesamte moderne Musik beruft sich auf die Ursprünge aus den Jahren 1930 – 1969 ohne es eingrenzen zu wollen. Selbst der Techno muss es ab und an als musikalisches Zitat verwenden um Wärme in die Musik zu bringen. Unser Auftrag war daher eigentlich immer die Erklärung der Ursprünge.

Größtes Lob war die Frage des neuen Gastes an den Dj nach der neuen und unbekannten Version. Mit der Antwort, „es handelt sich um das Original aus den 50iger Jahren“ konnten wir punkten und der Respekt war bei uns. Es entstand die ultimative Plattform für verlorene, vergessene, unterschätzte und im höchsten Maße erhaltungswürdige Musik. Jedes Wochenende boten verschiedenen DJs ihre ehrwürdigen, und bis dahin oft im stillen gewachsenen Plattensammlungen einem Publikum an, das diese Leidenschaft teilte und würdigte. Es wurde wild und anmutig getanzt, gefeiert und unterhalten. Belästigungen waren das unausgesprochene Tabu, an die sich jeder respektvoll hielt. Eine beispiellose Qualität entstand, auf die sich jedoch keiner auszuruhen vermochte. Der Anspruch war trotz der musikalischen Nostalgie nicht zu verstauben, sondern immer weiter Neues und Frisches auszugraben und anzubieten.

In den darauffolgenden nahezu 20 Jahren passierte einiges. Wir starteten jährlich neue Formate und Reihen. Manche bestehen bis Heute wie „Boheme Sauvage“. Es entstand eine feste Adresse für Nischenbands, die endlich vor großem Publikum spielen konnten.

Etliche Bands hatte nach 10 oder mehr Konzerten bei uns den Durchbruch und füllen nun Stadien wie The Boss Hoss.
Viele unserer persönlichen Helden wie Wanda Jackson oder Sky Saxon (The Seeds ) haben ihr Konzertleben bei uns beendet oder sogar ihren Geburtstag auf unserer Bühne gefeiert (Andre Williams mit stolzen 80 Jahren).

Alle diese Menschen, und es waren natürlich noch viel mehr, alle haben etwas gemeinsam. Sie waren nie Musikhelden mit Nummer 1 Platzierung. Stets die fleißigen, etwas verschmähten aus der zweiten Reihe. Die zumeist erst gebucht wurden als die anderen tot oder nicht mehr verfügbar waren. Wanda Jackson war so eine. Über 9 Jahre liiert mit Elvis Presley, sogar angeregt zu einer eigenen Karriere von ihm „HIM“ himselve. Als sie auf der Bühne des Bassy davon erzählt, kann man 30 Minuten eine Stecknadel fallen hören.

Bei ihren absolut großartigen Hits „Funnel of Love“ und „Lets have a Party“ danach natürlich nicht mehr.
So wie es im Moment aussieht werden wir demnächst, als die letzten aus der alten Garde, mit Pauken und Trompeten verschwinden. Um irgendwann gereinigt aus der Asche wieder neu zu erstehen.

Unser Kulturauftrag ist vorerst erfüllt. Wir werden uns dem Verlangen des Marktes nicht beugen. Egal in welcher Hinsicht. Berlin wird sich nicht ändern, mit oder ohne uns. Karl Scheffler hat es für alle Zeiten vortrefflich formuliert und daran halten auch wir uns: es sei „dazu verdammt: immerfort zu werden und niemals zu sein“.