Von Jessie Schmidt
Was bringt ein Regenbogen im Logo, wenn queere Menschen sich im Job nicht outen können – aus Angst vor Nachteilen? Was bringt ein Pride-Social-Post, wenn Unternehmen bei Diskriminierung schweigen? Was bringt Sichtbarkeit, wenn sie nicht geschützt wird?
Die letzten Jahre waren oft mehr Rainbow-Washing als echte Haltung. 2025 muss anders werden, denn der Pride-Month ist keine Werbefläche. Keine Deko und schon gar kein Monat, um mit dem Wind zu gehen. Denn wer Freiheit nur feiert, wenn’s ins Marketing passt, hat nicht verstanden, worum es wirklich geht.
Jetzt geht’s um Solidarität. Sichtbarkeit. Sicherheit. Wenn queere Menschen sich unsicher fühlen, brauchen sie keine Likes – sie brauchen uns. Menschen, die hinsehen, laut bleiben und nicht einknicken, wenn’s unbequem wird. Besonders in Zeiten, in der die Regenbogenflagge zum CSD nicht über dem dem Bundestag wehen soll und die queere Gruppe der Bundestagsverwaltung nicht beim Berliner CSD mitlaufen darf. Also: Menschen, die für unsere demokratischen Werte arbeiten, nicht öffentlich für ihre Werte einstehen dürfen – weil Regenbogenflaggen angeblich zu „politisch“ sind?
Let’s start from the scratch:
LGBTQIA+ – klingt auf den ersten Blick wie ein kaputtes Captcha und allein aufgrund der Tatsache, dass es gefühlt häufiger geändert wird als die Rechtschreibung wegen irgendwelcher Reformen, sind viele schon raus.
Tatsächlich steht’s für:
Lesbian, Gay, Bisexual, Trans, Queer (oder Questioning), Intersex, Asexual – und das Plus für alle Menschen, deren Existenz sich der binären Schubladenlogik elegant verweigert.
Für manche ist das zu lang, zu kompliziert, zu unbequem – wie der Gedanke an nicht- heteronormative Lebensentwürfe.
Ich selbst bin kein Teil der LGBTQIA+ Community, aber Fan-Girl des Pride-Months. Nicht, um mich zu inszenieren – sondern um Haltung zu zeigen. Weil ich glaube, dass es nicht reicht, kein Arschloch zu sein. Man muss aktiv dafür sorgen, dass Arschlochsein kein wachsender Trend, keine politische Option ist.
Warum Pride 2025 kein Partybus, sondern ein Protestmarsch ist
Früher war mehr Konfetti. Ich denke, da sind wir uns einig. Heute ist Pride wieder ein Kampf – ein Kampf für Gleichberechtigung.
Was einmal laut gefeiert wurde, muss jetzt erneut laut verteidigt werden, denn wir erleben einen gesellschaftlichen Rückschritt im konservativen Tarnumhang: rechte Erzählungen marschieren mit bürgerlicher Miene durchs Parlament. Es wird wieder darüber diskutiert, ob Menschen selbst entscheiden dürfen, wer sie sind und wen und wie sie lieben dürfen. Wie waren da schon mal weiter!
Deshalb ist Pride in diesem Jahr keine Lifestyle-Veranstaltung. Pride ist ein Notruf.
Rückschritte global – und lokal
Auch wenn hierzulande gern so getan wird, als wäre doch alles längst geregelt: Queere Diskriminierung in Deutschland ist kein Randphänomen und oft systemisch organisiert.
Im Arbeitskontext etwa outen sich laut einer BCG-Studie rund 67 % der queeren Mitarbeitenden nicht vollständig – aus Angst vor Nachteilen. Sichtbarkeit braucht auch Sicherheit, Schutz und strukturellen Wandel. Doch während die Zahlen steigen, wehen die politischen Zeichen in die andere Richtung. In Deutschland macht die AfD Meinungen zu Mehrheiten – und Menschen Angst. In den USA tobt ein altbekannter Kulturkampf auf Repeat. „Don’t Say Gay“-Gesetze, Drag-Bans, Transverbote an Schulen – der rechte Harley-Davidson-Konvoi rollt wieder, laut, toxisch, rückwärts.
In Italien streicht die Regierung lesbische Co-Mütter aus Geburtsurkunden, weil Vielfalt offenbar nicht ins offizielle Formular passt.
Weltweit wird Sichtbarkeit zur Lebensgefahr: In Uganda droht die Todesstrafe für Homosexualität, in Russland sind Pride-Symbole inzwischen „Propaganda“. Und queere Geflüchtete? Werden doppelt entrechtet – im Herkunfts- und oft auch im Zielland. Polen und Ungarn schaffen queere Sichtbarkeit ab – mit „LGBTQIA+ -freien Zonen“ kombiniert mit Aufklärung- und Bildungsabbau.
Aber wir müssen nicht moralischer Überheblichkeit auf andere Länder gucken, um zu merken, dass gesellschaftlich was schief läuft. Kehren wir vor unser eigenen Türe! Die Bundestagsverwaltung verbietet ihrer eigenen queeren Mitarbeitendengruppe, beim Berliner CSD mitzulaufen. Aus „Neutralität“.
Die Regenbogenflagge, 2022 noch stolz über dem Reichstag, bleibt 2025 eingerollt. Wer Sichtbarkeit zurücknimmt, wenn sie am dringendsten gebraucht wird, sendet keine neutralen, sondern brandgefährliche Signale. Denn: Neutralität schützt keine Menschenrechte. Wer schweigt, bezieht trotzdem Stellung – nur leider auf der falschen Seite.
Und selbst innerhalb der Community zeigen sich Risse.
Ich selbst habe Sätze gehört wie: „Wenn dir nicht passt, dass zwei Männer Händchen halten – dann geh zurück in dein Land.“
Sorry, aber das ist nicht der Pride – Spirit, für den ich auf die Straße gehe. Das ist paternalistischer Populismus im Regenbogenkostüm. Denn wie kann man für Gleichberechtigung kämpfen – und im selben Atemzug mit Ausgrenzung antworten?
Schauen wir auch auf das Beispiel Billie Eilish, welches zeigt, dass selbst innerhalb einer Community, die eigentlich ein Safer-Space sein sollte, aussortiert wird. Als sich die Sängerin öffentlich outete, auch auf Frauen zu stehen, wurde in den Kommentarspalten direkt diskutiert, ob sie „wirklich bi“ sei oder „nur experimentiert“. Ein Coming-out, das für viele Menschen ein mutiger Moment ist, wurde hier zur öffentlichen Beweislast.
Und das ist leider kein Einzelfall: Wer bi ist, wird oft nicht ernst genommen. Muss sich entscheiden. Rechtfertigen. Labeln.
Manche behaupten, man sei nur „verwirrt“, „nicht bereit“ oder „feige“. Dabei ist doch niemand verpflichtet, in einer Schublade zu hocken, nur um „ein Team“ nicht zu verärgern.
Niemand muss sich entscheiden, um akzeptiert zu werden. Niemand braucht ein Etikett, um dazuzugehören.
Warum ich mitlaufe – auch wenn ich nicht gemeint bin
Ich finde, man muss von Diskriminierung nicht selbst betroffen sein, um Haltung zu zeigen. Ich will, dass Menschen sich zeigen können, wie sie sind – im Job, im Club, im Leben. Nicht trotz, sondern wegen ihrer Identität. Nicht leise, sondern selbstverständlich.
Und ich erinnere mich an diesen einen Satz aus meiner Yoga-Ausbildung, der mich damals wie heute tief berührt:
„Mögen alle Wesen glücklich sein. Mögen alle in Frieden und Freiheit leben. Und möge ich etwas zu diesem Frieden und dieser Freiheit beitragen können.“
Ich glaube: Wir sind alle hier, um einander nach Hause zu helfen – uns gegenseitig Hände zu reichen und nicht Beine zu stellen. Für eine Welt, in der niemand Angst haben muss, einfach zu sein. Für eine Welt, die niemanden ausschließt – nicht aus Angst, nicht aus Ideologie, nicht aus Ignoranz.
Dafür erhebe ich meine Stimme. Dafür stehe ich ein.
Und du?