Berlin will nur noch Künstler fördern, die sich gegen Antisemitismus bekennen. Was ist passiert?

Am 7. Oktober tötete die Terrorgruppe Hamas über tausend Menschen und entführte Geiseln in den Gazastreifen.

In den folgenden Wochen äußerten sich einige Berliner Kultureinrichtungen mit Pro Palästina Posts, die zuvor zu dem erschütternden Terrorakt geschwiegen hatten. Interessant war die Beteiligung von Bars, Festivals und Veranstaltern, die bei „NEUSTART KULTUR“ und dem „TAG DER CLUBKULTUR“ am Start waren. Denn dort flossen auch Steuergelder.

Anmerkung der Redaktion: Der Tag der Clubkultur ist kein Förderprogramm, sondern ein Preis, der unabhängig von einem Kuratiorium vergeben wird. Die Clubommission (CC) zeichnet dafür nicht verantwortlich, ebenso wenig der Kultursenator. Die CC organisiert den Tag der Clubkultur, (dafür bekommen sie auch ein Budget), der Kultursenat stellt das Geld für die Gewinner zur Verfügung. Das heißt, man könnte die problematischen Einrichtungen höchstens der Jury ankreiden, aber wie sollten die das vorher wissen? Lutz Leichsenring von der CC meinte dazu: „Die Kriterien, die damals festgelegt worden sind, waren halt so, wie sie sind, und das im Nachgang zu kritisieren, macht halt wenig Sinn, vor allem nicht für einen Kultursenator, der weder mit den Kriterien noch mit der Preisvergabe was zu tun hat im letzten Jahr.“ De facto hat er damit Recht. Zudem liegt der Fokus bei den Förderungen in Berlin seit Jahren auf künstlerisch-kulturelle Projekte mit migrantischen, dekolonialen und queer*feministischen Perspektiven. Das vermutet man eine solche Positionierung einfach nicht.

Mitte November schrieb ich eine Mail an Hannah Dannel. Sie ist seit 1. Juli 2023 die neue Pressesprecherin und Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vor ihrem Wechsel war sie über 18 Jahre lang beim Zentralrat der Juden in Deutschland beschäftigt und dort zuletzt für Kultur und Kommunikation verantwortlich.

Mit Verweis auf das Oyoun wollte ich konkret in Erfahrung bringen wie sich die Senatsverwaltung gegenüber denjenigen positioniert, die seit dem 7. Oktober durch problematische Postings beim Thema Israel aufgefallen waren. Die Frage war: Hatte der Senat mitbekommen, was der Rest der kulturellen Projekte so trieb? Es wurden Posts publiziert, die undifferenziert Genozid, Kolonialisierung, Apartheid durch Israel, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, Zensur durch Senat, rassistische Berliner Polizeigewalt thematisieren. Diese Instagram Posts waren weiterhin abrufbar und ich wollte gern wissen, ob hier eine Distanzierung erfolgen würde, die auch in Zukunft eine weitere Zusammenarbeit ausschlösse. Ich wurde um Geduld gebeten.

Wer es nicht mitbekommen hatte… liest hier weiter. Wer es kennt, einfach scrollen.

Zuvor hatte es bereits Konsequenzen für das Oyoun gegeben, bezüglich der Fortführung einer Förderung.

Der Tagesspiegel schrieb zum Oyoun:

„Tatsächlich ist die Liste der Vorwürfe, die gegen die Betreiber erhoben werden, lang. Die Rede ist von herrischem Führungsstil, Unzufriedenheit von Mitarbeitern und Künstlern sowie einer extremen Positionierung gegen Israel und alles, was sich mit dem jüdischen Staat assoziieren lässt. Hinzu komme ein außergewöhnliches Maß an Sturheit: Denn das Oyoun wusste seit langem, dass der Stopp der Förderung droht, sollte es seinen Kurs beibehalten.“

Die Entscheidung, eine Million Euro an öffentlichen Fördergeldern zu streichen, veranlasste die Verantwortlichen, eine Petition zu starten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit zu kritisieren. Also anstatt bewusst auf die Fördermittel der vermeintlichen „Zensoren“ zu verzichten, beschuldigte man den Senat und strebte weiterhin nach Geldern. Doch aufgrund einer Klage des Oyoun zur Weiterzahlung der Gelder gegen die Kulturverwaltung, (eingereicht am 7. Dezember), ergibt sich wohl ein heikler juristischer Fall.

Das Ganze erinnert schon etwas an die Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD. Eine erneute erfolgreiche Bewerbung des Oyoun in der Zukunft dürfte angesichts seiner jüngsten Geschichte, allerdings wenig Erfolg haben.

Da die Antwort über einen Monat ausblieb, fragte ich kurz vor Weihnachten beim Senat nach. Das Feedback der Senatsverwaltung besagte, dass sie in Bezug auf diese Problematik sowohl mit dem Musicboard als auch mit der Clubcommission im Austausch ständen, sowohl bei akuten Fällen als auch bei der Konzeption nachhaltiger Maßnahmen wie Dialogreihen. Der Senator wollte sich derzeit jedoch nicht dazu äußern. Man sehe es aber ähnlich wie ich.

Insbesondere vor dem Hintergrund des bevorstehenden Starts von Katja Lucker bei der Initiative Musik am 1. Januar erschien es mir höchst unwahrscheinlich, dass zeitnah etwas beim Musicboard geschehen würde. Die Aktion der Clubcommission brachte noch im Dezember dieses Projekt an den Start: Gemeinsam für eine solidarische Clubkultur. Es fehlt jedoch der konkrete Zeitrahmen. Mir stellte sich allerdings auch die Frage: Wieso werden andere Institutionen vorgeschoben? Warum äußert sich der Kultursenator nicht direkt?

Nun ist klar, warum. Es wird eine Antisemitismusklausel geben. Beziehungsweise es gibt sie schon und sie ist in den Förderanträgen seit dem 21.12.2023 enthalten.

„Die Zuwendungsempfängerin/der Zuwendungsempfänger ist verpflichtet sich zu einer vielfältigen Gesellschaft zu bekennen und sich gegen jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung, sowie gegen jede Form von Antisemitismus gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung zu stellen.“

Ja cool. Wo ist das Problem? Es wird ja nichts verboten. Jeder kann weiterhin soviel Kunst & Kultur machen wie er oder sie will. Nur ob die Allgemeinheit dafür in die Tasche greifen soll, setzt jetzt voraus, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu bekennen. Und das war doch seit jeher die Domäne der linksangehauchten Kulturszene. Nun eben verpflichtend bei Cash. Und letztlich wurden, wie schon oben geschrieben, in den letzten Jahren solche, im weitesten Sinne, Awareness Projekte priorisiert gefördert. Um nicht zu sagen: Nur wer sich das auf die Fahnen schrieb, hatte überhaupt eine Chance, an Gelder zu kommen. Nun definiert der Kultursenat eben ein bisschen konkreter mit, was genau Antidiskriminierung bedeutet bzw. was in einem Code of Conduct sowieso nicht fehlen sollte.

Das Problem ist doch, dass es überhaupt eine solche Klausel geben muss. Die Reaktionen zeigen jedenfalls, wie verdammt wichtig diese Klausel ist. Allein die Kommentare unter dem Post auf Instagram sprechen Bände und offenbaren vieles:

tschuli33
Kann nicht zugucken, wie Deutschland wieder in den Faschismus abrutscht, und das auch noch im Namen seiner ekelhaften Geschichte

tobiasdenhaan
Dies sind nur die hysterische Letzte Züge der Deutsche Unterstützung des Zionismus. Die Apartheid wird fallen. Palästina wird frei sein!

nalasspace
Sag mal brennts bei euch? Israel ist ein Terrorregime auf gestohlenem Land.

monsieurduran
Lol. This makes you complicit in Genocide

causaaa_
fuck this country and it’s corrupt misanthropic politicians

Nun ja…

Scheinbar haben viele der Unterzeichner nicht mitbekommen, was im Netz seit dem 7.Oktober passiert ist, sei es nun auf Threads oder Instagram. Denn der Berliner Kulturbetrieb reicht vom Berliner Ensemble bis hin zur Musikbar im tiefsten Neukölln. Und man kann davon ausgehen, dass der eine nichts vom Tun des anderen weiß. Deshalb redet man gern von möglicher Zensur, ohne dabei zu verstehen, dass hier nur eingedämmt werden soll, und nicht weiter Staatsgelder an Leute fließen, die „from the river to the sea“ abfeiern. Wer davon schwafelt, das wäre ein Eingriff in die Meinungs- und Kunstfreiheit, vergisst dabei, dass es kein Grundrecht auf Förderung gibt, siehe OYOUN. Und der Kulturtopf ist ganz gut gefüllt. Während der Pandemie wurden Clubs, Theater, etc. finanziell überaus großzügig unterstützt. Der Kulturetat Berlins ist in den vergangenen zehn Jahren von knapp 400 Millionen auf fast eine Milliarde Euro angewachsen. Man könnte noch über eine bessere Verteilung reden, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Fakt ist, der Entzug finanzieller Förderung wird nicht als Druckmittel funktionieren, um kritische Positionen zur Politik der israelischen Regierung aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen. Das soll er auch gar nicht. Es ist nämlich nicht antisemitisch, Benjamin Netanjahu schlicht Scheiße zu finden und das auch zu schreiben. Es ist nicht antisemitisch, die illegale israelische Siedlungspolitik als eines der großen Probleme für eine Konföderation von Israel und Palästina a la „Zwei Staaten – ein Heimatland“ zu identifizieren. Aber er zwingt die Verantwortlichen mal zu prüfen, wen sie einladen, mit wem sie kooperieren, und auch, mit wem sie zusammenarbeiten… auch im eigenen Büro. Nochmal zum Mitschreiben: Niemand muss sich zu Israel bekennen. Es wird nur niemand gefördert, der explizit zur Zerstörung Israels aufruft.

Der Zug der Liebe e.V. hat seit Beginn diese Überprüfungspflicht eingeführt. Jedes Kollektiv, das mit dem ZDL zu tun hat, unterzeichnet sogenannte Wagenmacherregeln, um Rechte, Verschwörungsmystiker, und sonstige Irre auszuschließen. Es gibt zusätzlich einen internen Check Up. Das geschieht seit 2015 aus reinem Selbstschutz. Seit den Pegida Märschen haben wir doch klare Standpunkte dazu entwickelt, wie man sich positionieren sollte. Wer mitläuft, macht sich gemein mit Rechtsextremen. Wenn Coronaleugner, Reichsbürger, AfD Fanboys oder Antisemiten (warum auch immer) drunter mischen, schadet es jedem Projekt. Siehe Documenta. FYI: Was Joe Chialo in Berlin fordert, gibt es schon in z.B in Schleswig-Holstein und wird auch in anderen Bundesländern diskutiert.

Und es war eindeutig antisemitisch, was sich in den letzten Wochen und Monaten unter den Posts von einigen geförderten Kultureinrichtungen lesen lies, die bis heute unmoderiert blieben. Es waren und sind hunderte von Kommentaren voller Hass und Antisemitismus, oft auch voller Unwissenheit. Und hier offenbart sich scheinbar ein weiteres Problem.

Expats in Berliner Kultureinrichtungen und Unis wie der TU. Fakt ist: 99% der Kommentare sind auf englisch (Warum kann eigentlich eine englischsprachige Infrastruktur selbstverständlich in Berlin existieren, ohne als Parallelgesellschaft zu gelten?). Ich glaube, bei sehr vielen jungen Menschen, aus anderen Industrienationen (damit klammere ich bewusst Migranten mit arabischstämmigen Hintergrund aus) bringen viel Unwissenheit und eine nicht vorhandene Erinnerungskultur ins Spiel. Und so erkennen sie im Hamas Massaker einen dekolonialen Kampf oder glauben, Israel werde von Deutschland nur aufgrund des Nationalsozialismus unterstützt, und die Palästinenser wären die „Juden von heute“.

Die Autor:innen Moshtari Hilal* und Sinthujan Varatharajah** beschreiben das in ihrem Buch: „English in Berlin“ sehr gut:

Auf Englisch geführte Diskurse werden nicht einfach nur in einer anderen Sprache geführt. Sie prägen über die Verbreitung der Sprache hinaus auch maßgeblich die Debatten in Berlin. Diskussionen über Themen wie Rassismus werden nicht mehr mit Personen geführt, welche von klein auf hier gelebt haben, sondern werden ersetzt durch englischsprachige Expat-Perspektiven. Die Debatten, Diskurse und Menschen werden importiert und stehen dann in einem verfälschten Kontrast zum lokalen Kontext. Diese lokale Kontext heißt: Was haben wir in der Schule über 33 bis 45 gelernt? Was hat aus Auschwitz gelehrt? Wie ist unser Verständnis vom Nahost Konflikt? Was haben uns unsere Eltern und Großeltern erzählt? Wie nehmen wir die deutschsprachige Presse wahr? (Ja, sie ist durchaus israelkritisch, wie auch die deutsche Politik.)

Oder andersrum:

Was ist „inklusiv“, wenn die direkte Nachbar:innenschaft nicht Teil des Gesprächs sein kann? Und was ist deine Weltoffenheit, Toleranz, Diversität, und der Besuch von Panels wie „Queering the Decolonial: On Intersectional Justice from a Non-Eurocentric Lens.“ wert, wenn zum Schluss nur sowas dabei raus kommt wie beim Gorillas Workers Collective.

Just to be clear to all our white German comrades, and we don’t care if we lose many followers since we are defending the truth. Our struggle as immigrant workers and refugees is inseparable from the Palestinian struggle, and our freedom is not complete without the freedom of the Palestinian people against colonization, apartheid, and the genocide they face. As part of the left-wing labor migrant scene in Berlin, we stand in solidarity without barriers with the freedom of Palestine. We condemn all forms of oppression that the Palestinians face in Germany led by the police, the media, and the German fascist parties. We are not honored to work with any organizations that support the Zionist colonial apartheid regime, especially the fascists who call themselves (antideutsche).

„Nur um das allen unseren weißen deutschen Genossen klar zu machen, und es ist uns egal, ob wir viele Anhänger verlieren, da wir die Wahrheit verteidigen. Unser Kampf als Arbeitsmigranten und Flüchtlinge ist untrennbar mit dem palästinensischen Kampf verbunden, und unsere Freiheit ist nicht vollständig ohne die Freiheit des palästinensischen Volkes gegen Kolonialisierung, Apartheid und den Völkermord, dem es ausgesetzt ist. Als Teil der linken Arbeitsmigranten-Szene in Berlin solidarisieren uns ohne Grenzen mit der Freiheit Palästinas. Wir verurteilen alle Formen der Unterdrückung, denen die Palästinenser in Deutschland ausgesetzt sind angeführt von der Polizei, den Medien und den deutschen faschistischen Parteien. Wir fühlen uns nicht geehrt, mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die das zionistische koloniale Apartheidregime unterstützen, insbesondere mit den Faschisten, die sich selbst (antideutsch) nennen.“

Deswegen war dieser Schritt des Kultursenats vollkommen richtig. Es spart Geld und kommt hoffentlich wieder Projekten zugute, die einfach nur Kultur für alle machen wollen. (Der Zug der Liebe ist übrigens als politische Demonstration von einer Förderung ausgeschlossen.)

*Moshtari Hilal ist Künstlerin, Kuratorin und Autorin, sie lebt in Hamburg. Sie studierte Islamwissenschaft in Hamburg, Berlin und London mit Schwerpunkt auf Gender und Dekoloniale Studien und ist Mitgründerin des Kollektivs Afghan Visual Arts and History sowie des Rechercheprojekts Curating Through Conflict with Care.

**Sinthujan Varatharajah lebt als freier Wissenschaftlerin und Essayistin in Berlin, wo ser die Veranstaltungsreihe „dissolving territories: kulturgeographien eines neuen eelam“ kuratiert. Er studierte Politische Geographie und war mit der Forschungs- und Kunstinstallation „how to move an arche“ Teil der 11. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. 2017 –2018 war er Vorstandsmitglied des Beirats für Asylfragen der Europäischen Kommission und arbeitete über mehrere Jahre hinweg für verschiedene Menschenrechtsorganisationen in London und Berlin.