Autor: Jessica Schmidt

Als Journalistin widmet sich Jessica Schmidt den Themen der Club- und Subkultur. Zudem moderiert und produziert sie den Safer-Use- Podcast NACHTSCHATTEN - ein Kooperationsprojekt u.a. von SONAR - Safer Nightlife Berlin. Neben ihrer Tätigkeit als Moderatorin, Autorin und Kommunikationsmanagerin war Jessica Schmidt auch für die Pressearbeit diverser Club- und Kulturformate wie z.B. der Nachhaltigkeitsinitiarive CLUBTOPIA verantwortlich. Als Teil der DRAUSSENSTADT-Jury hat sie zudem einen detaillierten Blick auf die Förderlandschaft der Hauptstadt. Gemeinsam mit Zoe Uellendahl betreibt sie das Content-Projekt TRESENTALK, das im Rahmen des Publikumstags der STADT NACH ACHT am 18.November diverse Paneltalks in der Renate moderiert und kuratiert.

Es ist Mitte Juli, meine Sonnencreme klebt im Rucksack und als Profi habe ich natürlich auch an die Elektrolyte-Brausetabletten im Festivalhandgepäck– die Guten ausm ALDI. Absolute Verzehrempfehlung. Aber um Nahrungsergänzungsmittel soll es heute nicht gehen. Kurz vor Nation möchte ich mit euch meine Gedanken zum Festivalsommer teilen, denn das Realitätsflucht Festival auf dem Acker in Grünefeld bangt auch in diesem Jahr um sein Fortbestehen. Innerhalb von fünf Jahren haben sich die Kosten des Events verdoppelt, genauso wie die Ticketpreise.

Ob ich wirklich glaube, in diesem Jahr auf meine letzte Nation zu fahren? Seid doch nicht albern. Trotzdem denke ich, dass der Struggle real ist, und darüber will ich mit euch diskutieren.

Festival oder Fuerteventura?

Wer heutzutage Tickets für ein großes Festival kaufen will, stellt schnell fest: Die Preise sind nicht mehr von dieser Welt. Obwohl das so nicht stimmt, denn mittlerweile ist diese Welt eine Welt, in welcher der Freibad Eintritt so viel kostet wie ein Sofa bei Temu. Wer unverbindlich in den existenziellen Abgrund starren möchte, der setzt sich in den Rosengarten im Treptower Park und guckt den Freibadgängerinnen im Exil zu, wie sie sich in der Wasserfontäne abkühlen, weil sie sich die 7,50 € Eintritt nicht mehr leisten können.

Ein ähnlich trauriges Bild zeichnet die Festivallandschaft. Was früher mit einem 100er, einem stinkenden Wurfzelt und drei Liter Sangria im Tetrapack durchzuziehen war, kostet jetzt mal locker so viel wie ein Flug auf die Balearen – und zwar Hin UND zurück.

„Ibiza war günstiger“, denkst du dir beim finalen Klick auf Bezahlen. Und meinst das nicht ironisch.

Sonne, Bass & Bankrott?

Laut rbb24 liegen die Ticketpreise in Berlin/Brandenburg dieses Jahr zwischen 220 und 270 Euro. Laut LiveKomm schrauben Acts ihre Gagen zum Teil ins Dreifache. Klar: Auch DJs müssen sich Oatly-Hafermilch leisten. Ich selbst habe noch nicht ganz überwunden, dass ich aus finanziellen Gründen auf das LIDL-Plagiat umsteigen musste.

Christian Ordon von der LiveKomm bringt’s im NDR-Interview auf den Punkt:

„Headliner buchen oder mit kleineren Acts riskieren, dass der Vorverkauf nicht läuft.“

Und genau da beginnt das Dilemma. Denn Festivalmacher:innen stecken tief in der Booking-Zwickmühle: Budgetsprengende Stars oder charmantes Nischenprogramm mit Risiko? Gleichzeitig steigen Personal- und Logistikkosten, und Förderungen laufen aus wie die billige Sonnencreme in meinem Rucksack.

Festival oder Jahresurlaub – muss man sich wirklich entscheiden?

Ja, muss man. Zu diesem Ergebnis kommt man jedenfalls auf der Höme-Konferenz, wo sich Festivalmacher:innen mittlerweile fast wie Gewerkschafter:innen treffen – nur mit besserem Merch.

Die große Frage: Wie konkurrieren wir mit dem Jahresurlaub, wenn das Wochenendticket allein schon über 250 € kostet?

Ein paar Zahlen zum Vergleich:

  • Festival-Wochenende (z. B. Garbicz oder Feel):
    • Ticket: ca. 240 €Anreise, Camping, Essen, Drinks: ca. 150–200 €
  • Gesamtkosten: 400–450 € pro Person

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  • Pauschalurlaub (z. B. 5 Tage Mallorca, Last Minute):
    • Flug & Hotel: ab 350–450 €
  • ➔ Frühstücksbuffet inklusive, keine Dixis.

Und genau hier liegt der Schmerzpunkt. Wo Festivals früher als günstigere Alternative zum Sommerurlaub galten – „Urlaub mit besserem Soundtrack“ – sind sie heute für viele ein echter Luxusposten. Vor allem für jüngere Menschen mit kleinem Budget oder Kulturschaffende, die selbst nicht auf Rosen gebettet sind.

Aber es gibt Hoffnung – und zwar kreative

Denn Festivals sind mehr als nur ein Live-Music-Vergnügungspark. Sie sind Community, Utopie, Auszeit. Und genau da liegt der Schlüssel:

  • Line-ups smarter denken: Mehr lokale Acts, weniger transkontinentale Gagenbomben. Es gibt auch in deiner Stadt gute Musik und für die Umwelt ist es zudem besser. Versprochen.
  • Volunteering statt Vollpreis: Wer anpackt, darf mitfeiern. Schichten gegen Tickets – funktioniert seit Jahrzehnten, wird jetzt wieder richtig sexy.
  • Koops mit Hirn: Ja, Brand Matches können helfen. Nein, niemand braucht einen Typen mit American Spirit-Bauchladen zwischen Floor und Awareness-Zelt. Auch das Praeri-Festival präsentierte in diesem Jahr kein Brand-Match made in heaven, sondern eine Kooperation mit Fast Forward Fashion direkt aus der Hölle. Wie wäre es vielleicht, sich den Duschbereich als Sponsoringfläche für eine Naturkosmetikfirma zu denken?

Fazit: Festivals müssen nicht sterben – aber sie müssen sich neu erfinden

Was wir brauchen, ist ein Perspektivwechsel und ich finde, die Nation ist ein Format, das bereits vieles richtig macht. Ganz wundervoll fand ich auch das Jugendticket zum ermäßigten Preis. Beworben wurde das mit dem weltbesten Claim ever: „Die Pyonen wollen eure Kinder.“ Und ganz ehrlich: Ein liebevoll kuratiertes Festival mit lokalen Acts, Zeltromantik und guter Awareness-Policy gibt mir persönlich mehr als das Tomorrowland. Also ja – die Preissteigerung tut weh. Aber tut ja auch der Kater, den wir gebraucht haben, um wieder zu merken, worum’s wirklich geht: Gemeinsam. Laut. Mit Haltung. Und am besten ohne Bauchladen.