Wer ist eigentlich Ibtissame Lachgar?
Ibtissame „Betty“ Lachgar (geb. August 1975, Rabat) ist Entwicklungspsychologin, Feministin, Menschenrechts‑ und LGBT‑Aktivistin und Mitbegründerin der MALI („Mouvement alternatif pour les libertés individuelles“). MALI steht für individuelle Freiheiten in Marokko – ihr Name ist ein rhetorisches Statement: „Mali?“ im Sinne von „Was fällt dir überhaupt ein?“ oder „Was geht mich dein Urteil an?“
Sie ist bekannt als eine der wenigen offen atheistischen Persönlichkeiten im Land.
Ihre Formen des Aktivismus:
- 2009: Symbolisches Ramadan‑Picknick gegen Artikel 222 Strafgesetzbuch, der das öffentliche Fastenbrechen verbietet – die Aktion wurde von Polizei unterbunden, zog aber viel Aufmerksamkeit auf sich.
- 2013: Kiss‑In in Rabat – solidarisch mit verhafteten Teenagern, die ein Kussfoto gepostet hatten.
- 2012: Versuch, das Women‑on‑Waves‑Abtreibungsschiff nach Marokko zu bringen – symbolisch für reproduktive Rechte.
Was ist jetzt passiert?
- August 2025: Lachgar postete auf X ein Bild, auf dem sie ein T‑Shirt mit der Aufschrift „Allah is lesbian“ trägt. Im begleitenden Text kritisierte sie religiöse Ideologien als „faschistisch, phallozentrisch und misogyn“.
- Kurz darauf folgten die üblichen massiven Online‑Shitstorms: Tausende Hass‑ und Todesdrohungen, Aufrufe zu Vergewaltigungen, Lynchjustiz und Steinigungen.
- 10. August 2025: Sie wurde in Polizeigewahrsam genommen – wegen des Posts mit dem Aufdruck samt Statement.
- Anklage: Unter Artikel 267‑5 des marokkanischen Strafgesetzbuches „beleidigende Aussage gegen Gott“ bzw. „Islam beleidigen“ – drohen bis zu 5 Jahre Haft bei Internet‑ oder Social‑Media‑Delikten.
- Sie wurde zunächst 48 Stunden in Haft gehalten und dann in Untersuchungshaft verlegt – je nach Interpretation gesetzeskonformer Strafmaxima drohen eben diese bis zu 5 Jahre.
Dieses Statement blieb lange ohne Folgen, obwohl sie es schon 2022 und 2021 (TV‑Interview) getragen hatte – scheinbar erst die Wucht der aktuellen Reaktionen brachte die Behörden zum Handeln.
Stimmen aus der Aktivist*innen-Community
- Viele verteidigen die Meinungsfreiheit – obgleich sie ihre Herangehensweise nicht teilen. Podcaster Abdelaziz Al-Abdi etwa schrieb:„I fundamentally disagree with her approach and activism … But none of this justifies attacking her or supporting the authorities in prosecuting her.“
- Amnesty-ähnliche Beobachter rütteln an marokkanischen Blasphemie‑Gesetzen, kritisieren sie als „drakonisch“ und weltfremd
- Menschenrechtler:innen verweisen auf die Artikel 18 & 19 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IKRK) – sie garantieren Glaubens‑ und Meinungsfreiheit über nationale Grenzen hinaus
- Der ehemalige Justizminister Mustafa Ramid verurteilte die Aktion. Er argumentierte: „Provoked attack on sacred religious symbols cannot be tolerated“
Ibtissame Lachgar ist keine hanebüchene Aktivistin, sondern jemand, der bewusst provokative Symbole nutzt, um aus gesellschaftlicher Erstarrung aufzuschrecken. Das „Allah is lesbian“-T-Shirt ist keine reine PR-Aktion… es ist radikale Kunstpolitik. Und im Kontext Marokkos bedeutet das: Feuerwasser ins Patriarchat kippen. Sie hat genug Mut, Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Schieflagen zu generieren. Und die Reaktion des Staates zeigt, wie zerbrechlich die Balance zwischen Religion, Gesetz und Freiheit im Land ist. Das Shirt ist kein Gimmick, sondern eine Waffe. Lachgar hat damit ziemlich genau den wunden Punkt getroffen: Die Verknotung von Religion, Patriarchat und staatlicher Kontrolle. Dass der Staat sofort reflexartig zuschnappt, beweist ja gerade ihre These. Es geht gar nicht um Gotteslästerung, sondern darum, dass Frauen und Queers keine Deutungshoheit haben dürfen.
Wenn Gott ein bisschen busy ist, warum springen dann die Keyboard-Warriors ein?“
Es ist die alte Leier und die wichtigste Frage schlechthin: Wenn Gott tatsächlich allmächtig ist, wieso braucht sie dann eine Armee von beleidigten Stellvertreter*innen, die für sie in Kommentarspalten oder Gerichtssälen kämpfen? Eigentlich müsste man ja sagen: Wenn Gott wirklich beleidigt werden könnte, würde sie sich selbst darum kümmern. Aber wahrscheinlicher ist ein #eyerolling über die Typen, die mal wieder viel Lärm um nichts machen und ein #smirk für die freche kleine Erdenfrau.
Der Punkt ist: Es geht in solchen Fällen fast nie nur um „Gott“. Es geht um Macht über die Deutungshoheit:
- Religion ist ein soziales Ordnungswerkzeug. Wer bestimmt, was „blasphemisch“ ist, bestimmt auch, wie eng die Grenzen von Rede- und Denkfreiheit gezogen sind.
- Für viele Gläubige ist die „Beleidigung Gottes“ zugleich eine Beleidigung ihrer eigenen Identität. Wenn Gott = Teil der eigenen Ehre, dann triggert Kritik an Gott denselben Reflex wie eine persönliche Beleidigung.
- Staaten wie Marokko nutzen „Gotteslästerung“ als juristische Waffe: Es erlaubt ihnen, unbequeme Stimmen mit einem moralischen Vorwand zu kriminalisieren.
Also: Ja, eigentlich wäre „chillen und Gott machen lassen“ logisch aber in der Realität zeigt sich, dass Religion als politisch-gesellschaftlicher Marker funktioniert, nicht als spirituelle Privatangelegenheit. Ein Stück Baumwolle zeigt jedenfalls, wie dünn das Eis ist, auf dem die marokkanische Freiheit steht.
Aber wie issn das überhaupt in Deutschland? Ich bin ja ausm Osten, und da war Religion wirklich vollkommen egal. Es geht jedenfalls definitiv auch ohne. Hier mal ein kurzer historischer Abriss von Hexenverbrennung zu Kirchensteuer:
Heute (Grundgesetz)
In Deutschland gilt: Religionsfreiheit ist ein Grundrecht. Artikel 4 GG sagt klipp und klar: Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sind unverletzlich, niemand darf gezwungen werden, etwas zu glauben oder eben nicht zu glauben. Dazu gehört auch die Freiheit, seine Religion öffentlich zu zeigen (Kopftuch, Kreuzkette, Synagogenbesuch) – aber auch, komplett rauszubleiben. Der Staat ist religiös neutral, arbeitet aber mit den Religionsgemeinschaften zusammen (das berühmte „Staatskirchenrecht“). Deshalb haben Kirchen Sonderrechte: Kirchensteuer, eigene Arbeitsverträge, sogar eigene Gerichte für innerkirchliche Angelegenheiten. Das ist der Grund, warum z. B. katholische Krankenhäuser Leute nach Kirchenrecht kündigen konnten, wenn sie nach einer Scheidung nochmal heirateten. Vollkommen gaga.. aber nun ja.
Wer bei STEAM nicht zuerst an eine Antriebsart denkt, wird das hier lieben:
Mittelalter – Version 0.0 (Scheiterhaufen Beta):
Feature: Christentum Pflicht.
Bug: Abweichende Meinungen lösen Feueranimation aus.
DLC: Juden dürfen mitmachen, aber nur im Hardmode.
1517 – Reformation Update (Luther Patch):
Neues Feature: Eigenbau-Kirchen.
Mechanik: cuius regio, eius religio → Dein Fürst = Dein Glaube.
Spielerfeedback: „Warum kein Free-to-Choose?“
1648 – Westfälischer Frieden Expansion:
Bugfix: Nach 30 Jahren PvP jetzt mehrere Klassen spielbar (Katholisch, Lutherisch, Reformiert).
Balance-Issue: Andere Religionen immer noch locked.
1871 – Kaiserreich Patch:
Neue Mechanik: Kulturkampf.
Bug: Katholiken-Nerf, Protestanten Buff durch Staatsnähe.
Feature: Kirchensteuer-DLC eingeführt.
1919 – Weimarer Update (v1.0 Freedom):
Großer Content-Drop: Religionsfreiheit auf Papier.
Feature: Staat-Kirche offiziell getrennt.
Bug: Kirchensteuer-DLC bleibt, nicht deinstallierbar.
1933–1945 – NS-Terror Hotfix:
Alles kaputt. Religionsfreiheit deaktiviert.
Zwangsmod: Gleichschaltung, Verfolgung, Völkermord.
Game nearly dead.
1949 – Grundgesetz (GG Patch v2.0):
Neues Core-Feature: Artikel 4, Religionsfreiheit unverletzlich.
Gameplay: Du darfst alles glauben oder gar nichts.
Bug persists: Kirchensteuer-DLC immer noch fest installiert.
Heute – Current Build:
Multiplayer offen für alle: Christ, Muslim, Buddhist, Jedi, Atheist.
Premium-Feature: Du kannst aus der Kirche austreten und DLC deinstallieren.
Known Issue: Kirchenarbeitsrecht OP, sorgt für Balancing-Diskussionen.
Rating: 9/10, Abzug für „Zwangsabgabe Pay2Pray“.
Für Menschen ohne Game Gen:
Im Mittelalter ist Christentum ist Pflichtprogramm. Wer vom Glauben abweicht, kriegt nicht etwa ein „Abo kündigen“-Button, sondern den Scheiterhaufen. Juden werden geduldet, solange sie die Rolle als Sündenbock erfüllen. Religionsfreiheit: 0 von 10.
Das 16. Jahrhundert bringt die Reformation: Luther klopft Thesen, Fürsten sagen: „Cool, jetzt können wir unsere eigene Kirche gründen.“ Ergebnis: cuius regio, eius religio. Übersetzt: Dein Fürst ist katholisch? Dann bist du’s auch. Dein Fürst ist evangelisch? Überraschung, du auch. Religionsfreiheit: eher Zwangsabo.
1648 der Westfälische Frieden: Nach 30 Jahren Religionskrieg: kleine Entspannung. Juhu. Katholisch, lutherisch oder reformiert darfst du sein. Alles andere? Immer noch nicht. Religionsfreiheit: Light-Version.
Das 19. Jahrhundert im Kaiserreich: Katholiken werden im Kulturkampf drangsaliert, Protestanten kuscheln mit dem Staat. Andere Religionen so: „Hallo? Wir auch?“ Antwort: „Eher nicht.“ Religionsfreiheit: unter ferner liefen.
TAH DAH! 1919 die Weimarer Verfassung: Zum ersten Mal: richtige Trennung von Staat und Kirche. Jeder darf glauben oder nicht glauben. Kirchensteuer bleibt aber. Religionsfreiheit: endlich auf Papier.
Der fürchterliche Albtraum1933–1945 die AfD-Zeit, sorry NS-Zeit: De facto: keine Freiheit. Kirchen werden gleichgeschaltet oder drangsaliert, Juden systematisch verfolgt. Religionsfreiheit: tot.
I can see the light… 1949 das Grundgesetz: Artikel 4: Religions- und Bekenntnisfreiheit sind unverletzlich. Staat ist offiziell neutral, aber Kirchen behalten ihre Sonderrechte (Kirchensteuer, eigenes Arbeitsrecht). Religionsfreiheit: hoch offiziell, aber mit kirchlichen Bonuslevels.
Heute:
Du kannst Christ, Muslim, Buddhist, Jedi oder komplett konfessionslos sein. Niemand darf dich zwingen. Außer das Finanzamt, wenn du in der Kirche bist: Dann zahlst du Kirchensteuer. Religionsfreiheit: 9 von 10, Abzug für „Zwangsabgabe DLC“.