Vor zwei Jahren ist es passiert. Das Nova Festival wurde überfallen. Von Hamas-Terroristen. Über 1.200 Menschen wurden ermordet, viele verschleppt. Zwei Jahre später stehe ich da und verstehe immer noch nicht, wieso nicht ganz Berlin komplett durchdrehte, als ein Techno Festival massakriert wurde. Sie schwiegen, im Gegensatz zur Ukraine. Zumindest für zwei Wochen. (9/11 blieb länger unbefleckt.)
Ab Mitte Oktober wurde lieber über „Genozid“, „Kolonialismus“, „Apartheid“ und „Polizeistaat“ gesprochen aber nicht über die getöteten Festivalbesucher, nicht über die vergewaltigten Frauen, nicht über den antisemitischen Hass, der aus diesem Terror sprach.
Stattdessen wurde sich in Teilen der Szene öffentlich selbst diskreditiert.
Lustigerweise schaffen es zwei Jahre später einige Protagonisten immer noch, zu Events wie dem „Tag der Clubkultur“ eingeladen zu werden oder sogar Preise abzuräumen, ausgerechnet für „gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Kein Wunder, wenn in der Jury Leute wie Wanda Gaimes sitzen, deren Haltung im Artikel „FCK Zionist – Wie der Hass in die Berliner Clubs kam“ ausführlich erläutert wurde?
Das Klima ist mittlerweile komplett durchgedreht.
Es wird ernsthaft kritisiert, dass man bei Gesprächen über den Nahostkonflikt den Hamas-Angriff überhaupt erwähnt. Das sei „whataboutism“. Aha. Lassen wir dann auch den Angriff auf Polen 1939 einfach unter den Tisch fallen, wenn wir über den Zweiten Weltkrieg sprechen?
Man wird ja so ungern an Fakten erinnert oder an Tatsachen, die offenbar die eigene moralische Pose stören.
Dabei ist der Mechanismus altbekannt.
Die Strategie, sich in Wut und Verschwörung zu verlieren, erinnert auffällig an das Verhalten der Querdenker während Corona oder an die Propaganda der AfD. Auch da: maximale Empörung, null Fakten, dafür maximale Selbstgerechtigkeit. Die Haltung: Wenn Realität und Moral in Konflikt stehen ist die Realität nun mal das echte Problem.
Im Oktober 2023 schrieb ich in einen Text über die völlige Beklopptheit eines Slogans wie „Free Palestine from german guilt“ sechs Punkte, die versucht haben, das Bild differenziert zu halten. Heute wirkt er fast wie ein Echo auf beide Seiten; auf die AfD wie auch auf Pro-Palästina-Aktivisten. Ein Versuch der Übersetzung:
Jüdische Israelis können nur in Sicherheit und Freiheit leben, wenn auch Palästinenser in Sicherheit und Freiheit leben.
Übersetzt auf Pro-Pali/AfD wäre das: Palästinenser können nur in Sicherheit und Freiheit leben, wenn die Israelis zwangsremigriert werden.
Die Mehrheit der Israelis fühlt sich von der derzeitigen israelischen Regierung nicht repräsentiert.
Übersetzt auf Pro-Pali/AfD wäre das: Wir leben in einer Diktatur, in der die Wahrheit durch Staatsmedien und Geheimdienste unterdrückt wird.
Israelis konnten auch schon vor dem 7. Oktober in Neukölln nicht einfach Hebräisch sprechen oder gar mit Kippa rumrennen.
Übersetzt auf Pro-Pali/AfD wäre das: Man wird ja wohl noch „Zionistenschweine“ sagen dürfen… ist ja nur Israelkritik.
Auch viele Israelis kritisieren die Politik Netanjahus und die Expansion.
Übersetzt auf Pro-Pali/AfD wäre das: Wir sind die Mehrheit. Wir schweigen nicht mehr. Die offiziellen Zahlen lügen.
Benjamin Netanjahu ist genauso ein Arschloch wie Viktor Orbán oder Donald Trump.
Übersetzt auf Pro-Pali/AfD wäre das: Schwierig. Die AfD liebt die Jungs, weil sie korrupte Rechtspopulisten sind. Die Palis hassen sie wegen ihrer Solidarität zu Israel. Aber alle eint die ideologische Radikalität.
Sadistisches Morden hat nichts mit Dekolonialisierung zu tun.
Hier gibt es keine Übersetzung mehr. Punkt 6. wird von Pro-Palästina-Aktivisten teilweise offen hinterfragt. Man spricht von „legitimem Widerstand“ und „Schulter an Schulter mit den Märtyrern“. Es ist eine globale Empörungsindustrie, die auf Demos in Berlin sehr oft italienisch, spanisch oder englisch skandiert und zeigt, dass Judenhass nicht nur aus einem arabischen oder rechtsextremen Umfeld kommt, sondern auch von Leuten, die aussehen, als würden sie gern auf Festivals tanzen, nur eben nicht in Israel.
Dabei geht es längst nicht mehr um Israel. Israel ist das unfreiwillige PR Ministerium für die Palestinenser. Ohne Israel als Feindbild würde sich kein Mensch für die Palestinenser interessieren. Es geht nur um die Pflege der eigenen Empörung. Um die Freude, endlich wütend sein zu dürfen. Um das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, auch wenn man gar nicht so genau weiß, was diese Seite eigentlich bedeutet. In einer komplizierten Welt ist die Empörung das vereinfachende Gefühl für etwas Orientierung.
Man könnte das den emotionalen Narzissmus des Aktivismusnennen. Es geht ums Recht haben. Es geht um affektive Hygiene: die holyfucking Reinigung durch moralische Wut. Diese Wut ist selbstgenügsam. Israel ist da einfach nur eine Projektionsfläche, wie es vorher Corona, Klima, Gender oder Kapitalismus waren.
Die Empörung als Ersatzreligion in einer gottlosen Gesellschaft, eine neue Form kollektiver Ergriffenheit, die nichts mehr mit Erkenntnis, aber viel mit Erregung zu tun hat. Wie diese Typen, die sich selbst mit Dornenriemen geißeln.
Wir haben eine Szene, die sich im eigenen Furor verliert, unfähig zur Ambivalenz, unfähig zur Stille, getrieben vom Drang, sich selbst im Spiegel der Moral zu bestätigen. Vielleicht ist genau das die Tragödie unserer Zeit: Wir verwechseln Haltung mit Affekt und nennen das dann Bewusstsein.