Eine Klarstellung für alle, die glauben, Schwarz zu tragen reicht. Der Underground ist tot – lang lebe der Underground.
„Underground“ – das Wort steht heute auf jedem zweiten Clubflyer, in jeder dritten Insta-Bio und in jedem algorithmus-optimierten DJ-Text. Es steht in ONLINE-WERBUNG. „Wir machen einen Underground-Event“ – und bezahlen dafür an Meta Geld, damit du das hier sehen kannst. Ebenso wie die Polizei, die dieses „Underground-Event“ ganz schnell dichtmachen würde, wenn es denn wirklich eins wäre.
Underground ist mittlerweile ein Label ohne jeden Widerspruch geworden – ein Versprechen von Tiefe in einer zunehmend flachen Welt, das niemand mehr hinterfragt. Doch was bedeutet es eigentlich? Und wer darf sich dieses Etikett überhaupt anheften?
Im Techno war „Underground“ nie bloß ein Genre – es war eine Haltung. Gruppen wie Underground Resistance aus Detroit haben diese Haltung geprägt: radikal, politisch, anonym. In Berlin bekam der Begriff „Underground“ nach dem Mauerfall eine ganz eigene Prägung – vor allem durch die Kids aus der DDR, die sich nach einer neuen radikalen Form von Freiheit sehnten.
Der Underground war geheimnisvoll. Es ging um Codes, nicht um Sichtbarkeit. Um Plattenläden, in denen man wissen musste, was man sucht. Um Flyer, die du nicht einfach im Feed fandest, sondern nur, wenn du in der richtigen Küche, im richtigen Keller oder beim richtigen Typ auf’m Tisch geguckt hast. Du hast Monika Dietl gehört – nicht, weil sie ein Algorithmus ausgespielt hat, sondern weil sie die einzige war, die dir Zugang zu einer anderen Welt verschafft hat.
Das Internet war noch kein Verzeichnis der „Top 10 der wichtigsten Underground Clubs in Berlin“, sondern eine Lücke. Und genau in dieser „Ich bin nur existent mit einem Tanz Video“ Selfie Lücke blühte etwas, das sich dem Zugriff entzog. Underground war nicht verfügbar – und genau das machte ihn lebendig. Und eine Polizei, die keinen Plan hatte, was sie nun eigentlich machen soll.

Ursprünge & Historie: Woher kommt „Underground“ eigentlich?
Das Wort „Underground“ meint wörtlich erst mal: unter der Erde. Ja wirklich und ja auch voll peinlo, dass zu erklären. Aber es gibt auch Menschen die AfD wählen oder Zahnstocher Manuals lesen, obwohl sie nicht grad aufm Klo sind. Also unsichtbar. Abgetrennt vom Sichtbaren. In der Popkultur wurde es zu einem Sammelbegriff für alles, was sich bewusst abseits des Mainstreams bewegte – sowohl aus politischen, ästhetischen als auch ökonomischen Gründen.
1960er: Der Ursprung im Westen – Gegenkultur & DIY
In den USA und Großbritannien wurde „Underground“ in den 60ern zum Label für linke Gegenöffentlichkeiten.
Underground Press wie International Times oder Berkeley Barb: radikale, selbstgedruckte Zeitungen jenseits von Verlagslogik.
Underground Comics: roh, zensurfrei, vertrieben auf Flohmärkten oder aus dem Kofferraum.
Das alles war politisch, aber oft eingebettet in ein System, das Widerspruch zumindest tolerierte.
Im Osten war „Underground“ nicht Popkultur, sondern Dissidenz. Wer dort underground war, war in Lebensgefahr. Keine Flyer, keine DIY-Zines – sondern verbotene Literatur, illegale Treffen, riskante Kommunikation. Der Preis war nicht Social-Media-Shitstorm, sondern Knast, Verbannung oder Tod. Aber ehrlicherweise sollten die Anti-Vietnam-Proteste, die Black Panther Bewegung, die Hippie- und Free Love Kultur hier Erwähnung finden, die auch verfolgt wurden. Der westliche Underground konnte gegen den Mainstream arbeiten – weil er einen Mainstream hatte, der überhaupt auf Kritik reagierte.
1970er–80er: Punk & Postpunk – Anti-Kommerz & DIY
Punk war radikal DIY: Du konntest nicht spielen? Mach trotzdem ne Band. Und werde erfolgreich wie die SEX PISTOLS
Labels wie Rough Trade oder Dischord Records in den USA haben Musik ohne Major-Strukturen produziert und distribuiert.
Hausbesetzungen, Squats, autonome Zentren: Underground als Ort, nicht nur als Sound. War ne schöne Zeit….
Berlin: Rauchhaus, Kollektivstrukturen, frühe Tekkno-Experimente in Kellern & besetzten Häusern. (Ja das TEKKNO hab ich aus Gründen des Humors extra so geschrieben…)
1980er–90er: Techno & der neue Underground
Chicago House & Detroit Techno: Schwarz, queere Communitys, abseits des Radioformats.
Clubs wie das Music Institute (Detroit) oder Warehouse (Chicago): nicht kommerziell, aber mit Community-Spirit.
Underground Resistance (UR) war ein Bruch: anonyme Auftritte, keine Interviews, keine PR – stattdessen Masken, Manifeste, klare Systemkritik.
In Berlin: Nach dem Mauerfall sprießten illegale Clubs in Ruinen, U-Bahn-Schächten und Brachflächen.
Niemand hat von „Subcultural Capital“ gesprochen – aber jeder wusste: Hier passiert etwas, das nicht in den Spiegel passt.

Underground ist kein Sound. Kein Look. Es ist eine Position. Es ist Arbeit.
„Wir haben keinen Instagram-Account, weil wir real bleiben wollen. Aber trag dich in unseren Newsletter ein.“
„Unser Event ist geheim, aber trotzdem auf Resident Advisor, aber auch ohne Adresse. Die findest du NUR im verlinkten Telegram Account.“
„Ich spiel nur Vinyl, ich bin Underground.“ (Aber es ist trotzdem cool.)
So klingt heute oft der Selbstbetrug. Als würde sich Underground über Ästhetik definieren. Underground ist eine Haltung gegenüber Macht.
Underground ist: gegen Macht arbeiten.
Nicht gegen alle Macht – sondern gegen die, die ausschließt, vereinnahmt, monetarisiert. Wenn dein Event von einer Agentur kuratiert, von Meta beworben und von der Polizei abgesichert wird, bist du nicht underground – du bist ein Produkt. Und das ist okay. Aber nenn es beim Namen und nicht fucking:
„Secret Underground Berlin Rave at a Hidden Location“
wenn wirklich jeder Schwanz in dieser Stadt die verdammte Musikbrauerei in der Greifswalder Straße im hart bürgerlichen Prenzlauer Berg kennt. Wo der Autor dieser Zeilen bereits vor zig Jahren zu plauschigen, klassischen Konzerten mit Kerzenbeleuchtung war, bevor ihr überhaupt in die Kinderdisco durftet.
Sound ≠ Haltung
Du kannst Bunker-Techno spielen, aber die gleiche Bookingpolitik fahren wie jedes PR-Festival. Underground tut weh. Nicht nur anderen – auch dir. Es bedeutet: weniger Förderung, mehr Risiko, kein MediaKit-ready-Design. Es bedeutet: nicht wissen, ob was klappt. Nicht wissen, ob die Polizei kommt. Hoffen, dass keine Anzeige folgt. Hoffen, dass es nicht regnet. Hoffen, dass alle wie versprochen helfen. Hoffen Hoffen Hoffen… das ist Underground.
Underground ist keine Komfortzone. Und genau deshalb wird er so gern simuliert. Weil ein bisschen Dreck auf Insta gut klickt. Weil Schwarz-Weiß-Flyer an Retro erinnern. Weil „former brewery“ geiler klingt als „Eventlocation mit Notausgangsplan“.

Wie der Underground zur Markenstrategie wurde
Der Underground ist längst in der Influencer-Ökonomie angekommen – als Kostüm, als Filter, als Branding-Tool. Du brauchst heute keinen Zugang zu Kollektiven, Kämpfen oder Kontexten – nur das richtige Moodboard. Und es exakt das gleiche Spiel wie auf Linkedin – nur mit anderem Dresscode. LinkedIn-Influencer und Insta-Techno-Kuratoren funktionieren nach dem selben Muster: Identitäts-Branding über Ästhetik statt Substanz. Nur dass der eine einen Hoodie mit „Disrupt“ trägt und der andere ein Raver-Outfit mit „No Phones“-Statement.
Auf LinkedIn: „Ich bin Leadership-Punk mit Purpose-Mindset.“
Im Club: „Ich bin Kollektiv-DJ mit Anti-Kommerz-Haltung und spende was von meiner Gage.“
Auf LinkedIn: Erfolgsnarrativ in Story-Form, garniert mit Emojis.
Im Club: Awareness-Posts mit Nebel-Video, getaggt mit FLINTA-Diversity-Siegel – aber gleiche Bookings wie immer.
Auf LinkedIn: „Ich bin kein Coach – ich bin Möglichmacher.“
Im Club: „Wir machen keine Party – wir machen Kulturarbeit.“
Beide verkaufen die Idee von Relevanz, ohne sie zu leben. Sie simulieren Wirkung – durch Sprache, durch Bildsprache, durch Wiederholung. Und irgendwann glauben andere den Mist. Blöderweise kapitalisieren sie damit das, was andere sich wirklich erarbeitet haben.
Kapitalismus liebt deine Rebellion – solange er sie verkaufen kann. Früher warst du underground, weil du es wolltest. Heute bist du’s, weil es sich gut vermarktet.
Deshalb buchen Festivals jetzt „radikale“ Kollektive – als Deko und der schlecht belüftete Floor für die Melodic Techno Atzen heißt plötzlich „Secret Stage“. Subkultur wird nicht mehr bekämpft – sie wird eingekauft. Zum Beispiel als Mural in der Eurpoacity. Der Underground als Experience-Produkt. Manche Veranstalter bauen sich Underground wie ein Pop-up-Menü:
- Secret Location (mit Ticketlink via Dice).
- No Phones Policy (aber professioneller Fotograf).
- Awareness-Team (ohne Schulung).
- Kollektiv-Booking (ohne Machtteilung).
Es geht nicht darum, wer underground ist. Sondern: wer ihn besser simuliert. Und die Simulation ist oft erfolgreicher als das Original. Weil sie glatter, sicherer, verwertbarer ist. Weil die wirkliche DIY Party, die ist improvisiert, die ist wirklich nicht clean, die ist oft chaotisch, die kommt mit wirklich weirden Sounds, die kommt auch mit schlechter Anlage, oder vielen ernsthaften ungebügelten Typen an den Start. Die macht dir als Besucher garnicht soviel Spaß. Ohne vernünftige Cocktails. Ohne cardless Payment. Die nicht fancy ist, mit fetter Lichtshow und Pyro Technik. Sag mal gehts noch!
Underground lebt – aber oft nicht dort, wo er behauptet wird. Er wird nicht mehr gemacht – sondern gebaut wie eine Bühne. Wie echt kann Underground sein, wenn er sich anfühlt wie ein prerecord Set? Wenn der Fehler fehlt? Wenn niemand mehr schwitzt?

Wo lebt Underground heute – und wie erkennt man ihn noch?
Er ist umgezogen. Nach Reinickendorf. Underground war früher schwer zugänglich. Man musste ins real life und dort wie Pockemons die richtigen flyer finden, oder Leudde kennen. Mouth to Mouth Propaganda ist immer noch nice, die Gerüchteküche flüstert und Zugänge sind digital geworden: Telegram-Gruppen für Räume, in denen nicht jeder willkommen ist – **aber jeder sicher**. Nicht weil man cool genug ist, sondern weil man Teil einer Praxis ist.
Underground
Er hat keine GEMA-Pauschale. Keine Förderung sowieso. Ganz sicher keinen Sicherungskasten, der zuverlässig funktioniert. Er hat Chaos, Unsicherheit, Streit, Last-Minute-Absagen – aber er hat Haltung.
Und er ist, wenn sich das alles so bewahrheitet mit dem Clubsterben und dem ganzen Rest des Untergangs der Feierei, dann ist der „Underground“ (Der vielleicht gar nicht mehr so heißen wird.) last chance für deine beste Party aller Zeiten. Irgendwo in einem Keller. Oder einer Küche. Oder im Draußen, das keine Adresse hat. An die du dich immer erinnern wirst. Und die dich dazu bringen wird, selbst sowas zu machen. Um dem Nächsten dann dieses Gefühl zu geben.
Merkzettel:
Weniger „öffentlich“, mehr „organisiert“. (Martin weiß, wovon ich rede…)
Weniger Event, mehr Infrastruktur.
Weniger Ego, mehr Care.
Mic drop.