Istanbul klingt wie keine andere Stadt. Zwischen Minaretten, Megastaus und Melancholie vibriert eine Szene, die sich weder in den Westen duckt noch in die eigene Nostalgie flüchtet. Stattdessen: basslastige, queerfeministische, dekoloniale Clubsounds – entstanden aus Fragmenten, Frustration und Freundschaft. In Istanbul dröhnt der Bass durch Risse im System. Während der Staat auf Kontrolle setzt und die Straßenmilizen patrouillieren, hat sich eine Untergrundszene etabliert, die Clubmusik als Rückzugsort, Waffe und kollektives Ritual nutzt. Istanbul ist laut, schwitzig, queer, riskant – und in jeder Nacht eine neue Realität.

Und das in einem politischen Klima, in dem sogar das Feiern als Bedrohung gilt.

Zwischen Stadtgrenze und Ausnahmezustand

Istanbul hat keine klaren Clubs wie Berlin. Stattdessen gibt es eine lose, aber extrem aktive Struktur aus Veranstalter*innen, Kollektiven, Livestreams, Popup-Spaces. Hier entstehen Veranstaltungen wie Reclaim the Night, Soundsisters, oder TeknoFem. Das Zentrum ist nicht der Raum, sondern der Bass. Trap trifft Dabke, Grime trifft Anatolien, Techno trifft Protest. Viele der Artists sind queer, migrantisch, weiblich – oft mehrfach marginalisiert. Und sie wissen: Wer in Istanbul auflegt, legt auch Haltung auf.

Viele Partys finden am Rand der Stadt statt: in leerstehenden Lagerhallen, auf Dächern, in provisorisch abgedichteten Kellern. Organisiert von Kollektiven, die sich nicht auf Genehmigungen verlassen, sondern auf Netzwerke. Der Zugang läuft über verschlüsselte Kanäle, der Einlass ist politisch. Wer drinnen ist, weiß warum. Die Tracks sind basslastig, oft gebrochen, mit Einflüssen aus Grime, Trap, anatolischem Folk und Dubstep. Keine homogene Soundästhetik, sondern ein diffuses, kollektives Aufbäumen gegen die Enge des offiziellen Lebens.

Dinge, die Istanbul besonders machen

Queerfeminismus als Struktur

Die Szene lebt von Solidarität. Die meisten Crews arbeiten kollektiv, non-kommerziell, politisch. Events sind safer spaces, mit Awareness-Teams und Fokus auf intersektionale Gerechtigkeit.

Kein Ort ist sicher

Clubs werden geschlossen, Gigs abgesagt, Livestreams gestört. Trotzdem wächst die Szene. Im Schatten der Repression wird der Sound härter – und die Netzwerke stabiler.

Club als Gegenwelt

Kollektive wie Root Radio, Sisters of Sound oder Istanbeats nutzen Musik als sichere Sprache – in einer Gesellschaft, in der Dissens gefährlich ist. Queerness, Community und Bass als Schutzformeln.

Anatolischer Bass

Viele Artists kombinieren anatolische Rhythmen, klassische türkische Instrumente und elektronische Produktion zu einem Sound, der sowohl rooted als auch radikal ist.

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Dabke
Ein traditioneller Levante-Tanz, der in elektronischer Clubmusik oft gesampelt oder geremixed wird. Symbolisiert kollektive Energie, aber auch Widerstand.