American Eagle sagt, Sydney Sweeney habe „gute Gene“. Und das Internet dreht am Rad: Rassismus! Weißes Schönheitsideal! Nur blöd, dass dieser „Skandal“ in Deutschland etwa so viel kulturelle Relevanz hat wie ein Pumpkin-Spice-Latte im Erzgebirge. Hier meint „gute Gene“ in der Regel: Hübsch, gut gebaut, danke Mama. Ein Spruch aus der Kategorie „Tinder-Bio von 2016“ vielleicht peinlicher low brainer, aber kein Fall für den Ethikrat. Niemand hier denkt bei dem Begriff an biopolitische Reinrassigkeit – außer vielleicht Alice Weidel beim Brunch. Man denkt eher: Aha, Hintern in Jeans. Schon wieder. Und fühlt sich dabei an alte H&M-Plakate erinnert, aus einer Zeit, in der Werbung noch plump war und niemand so tat, als würde man ein gesellschaftspolitisches Manifest tragen, nur weil man Denim trägt.
Was hier passiert, ist exemplarisch für eine neue Werbekultur: Der moralische Subtext wird nicht mehr gemeint, sondern mitgeliefert. Wie son Beipackzettel für Empörungszyklen. Marken designen keine Haltung mehr, sie designen Trigger. Mein absolutes Hasswort by the way. Aber es funktioniert. Nicht über Klarheit, sondern über Ambivalenz: Ist das jetzt empowernd? Ironisch? Reaktionär? Provokant? Oder einfach nur dumm? Egal. Hauptsache, es lässt sich diskutieren. Auf TikTok, Twitter, Threads, Reddit. Einmal viral bitte, dann zur Kasse. Und die Kasse klingelt. Die Aktie erlebte eines der stärksten Tages-Gewinne in Jahrzehnten – angetrieben nicht durch Zahlen oder eine strategische neue Linie, sondern durch Empörung und politische Aufmerksamkeit.
Zum Vergleich: In den 80ern und 90ern provozierte Benetton mit voller Absicht. Der italienische Fotograf Oliviero Toscani zeigte sterbende AIDS-Patienten, blutige Uniformen, frisch entbundene Babys mit Nabelschnur. Es ging nicht um Likes. Es ging um Reibung. Um echte politische Brückenzüge. Um Bilder, die sich einbrennen. Wer sich daran erinnert, weiß: Diese Kampagnen waren unbequem. Nicht, weil sie unklar waren, sondern weil sie glasklar Stellung bezogen. Sie lösten Streit aus – nicht Shitstorms.
Heute läuft es anders. Werbung will nicht mehr polarisieren, sondern polarisierbar sein. Idealerweise auf eine Weise, die im Feed funktioniert. Die nicht auflädt, sondern durchlädt. Die Benetton-Strategie war: „Wir zeigen dir etwas, das du nicht sehen willst.“ Die Strategie heute heißt: „Wir geben dir einen Satz, bei dem du dir selbst aussuchen darfst, worüber du dich aufregst.“ Und alle machen mit bei dieser endlosen Empörungsmaschinerie, die einzig SALES will. Weil jeder unbedingt seinen Senf dazu geben will.
Das Problem: Diese Form von Trigger-Werbung funktioniert vor allem in den USA. Dort gibt es eine kulturelle Infrastruktur für Debatten über Race, Gender, Class, Body Politics. Die Schlagworte zünden, weil sie kulturell aufgeladen sind. Wenn dieselben Buzzwords dann hierher überschwappen, führt das oft zu einer Art Diskurs-Importstau. Beispiel „gute Gene“: Im englischen Wortspiel „genes/jeans“ liegt die doppelte Bedeutung. Auf Deutsch? Nichts davon kommt an. Kein Wortspiel, keine Bedeutungstiefe, keine Diskussion, die hier organisch gewachsen wäre. Und doch wird sie geführt. Als hätten wir dieselben Codes. Haben wir aber nicht.
Was folgt, ist eine mediale Simulation von Relevanz: US-Debatten werden auf deutsche Verhältnisse projiziert, ohne Übersetzung. Das Resultat: moralische Nebelmaschinen. Man empört sich über eine Debatte, die hier nie stattgefunden hat. Und verständigt sich dabei in Schlagworten, deren Herkunft man nicht mehr kennt.
Für Marken ist das kein Problem, sondern Kalkül. Sie müssen nicht mehr überzeugen, sie müssen Reaktion provozieren. Sydney Sweeney ist dabei nur Symptom. Ein blondes Gesicht, ein Witz über Gene, ein Shitstorm. Der Rest passiert von allein. Die Aktien steigen. Das Internet diskutiert sich wund. Und am Ende bleibt nichts. Kein Statement, keine Haltung. Nur ein Hüftschwung im Denim.
Was früher mutig war, ist heute Mechanik. Was früher Skandal war, ist heute Strategie. Werbung will nicht mehr stören. Sie will entzweien. Nicht, um etwas zu verändern – sondern um sich selbst in Szene zu setzen. Was bleibt, ist ein Bild: glatt, clean, kontrolliert empörbar. Politisch? Nur im Nebensatz. Gesellschaftlich relevant? Nur im Algorithmus.
Benetton war unbequem. American Eagle ist bequem. Bequem wie die AfD, die ihren „Diskurs“ komplett auf Infografiken mit einem Satz Empörung runtergekocht hat. Triggert. Teilt. Zündet. Weiter. Keine Argumente, keine Tiefe, nur Reaktion. Werbung macht es mittlerweile genauso. Nicht informieren, nicht provozieren – einfach nur kurz das Gefühl geben, man müsse jetzt irgendwas finden: empörend, empowernd oder irgendwie „kritisch“. Ein Satz reicht. Ein Bild reicht. Ein Gesicht reicht. Der Rest ist Copy-Paste-Debatte im Kommentarbereich.
Aber American Eagle will ganz sicher nicht die demokratische Gesellschaft verändern, sondern nur verkaufen. Empörung ist für Marketer kein Kollateralschaden mehr sie ist das Produkt.